Verhaltensbedingte Kündigung wegen sexueller Belästigung: Ist die Abmahnung notwendig?

Veröffentlicht am 07.08.25
Sexuelle Belästigung: Abmahnung vor Kündigung
Verhaltensbedingte Kündigung wegen sexueller Belästigung: Ist die Abmahnung notwendig?
Sexuelle Belästigung: Abmahnung vor Kündigung

Im deutschen Arbeitsrecht gilt grundsätzlich : Vor einer verhaltensbedingten Kündigung ist eine Abmahnung auszusprechen. Doch es gibt Ausnahmen. Ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen (LAG) liefert einen eindrucksvollen Fall, in dem die Abmahnung entbehrlich war: wenn ein Vorgesetzter mehrfach Angestellte belästigt (Urteil vom 29.04.2025 – 11 SLa 472/24).

Was ist eine verhaltensbedingte Kündigung?

Eine verhaltensbedingte Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG setzt voraus:

  • der Arbeitnehmer verletzt seine arbeitsvertraglichen Pflichten erheblich,
  • es erscheint unwahrscheinlich, dass sich der Arbeitnehmer in Zukunft an die Regeln hält (negative Prognose),
  •  
  • der Arbeitgeber hat kein milderes geeignetes Mittel (wie eine Abmahnung)
  • für den Arbeitgeber ist es unzumutbar, den Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen, d.h. das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung überwiegt das Interesse des Arbeitnehmers an der Weiterbeschäftigung.

Der Fall: Wiederholte sexuelle Belästigung im Hotelbetrieb

Im zu entscheidenden Fall war der Arbeitnehmer Restaurantleiter eines 4-Sterne-Hotels und für rund 70 Mitarbeitende verantwortlich. Ihm wurden durch fünf Zeuginnen gravierende sexuelle Übergriffe vorgeworfen: unerwünschte körperliche Nähe, sexuell konnotierte Sprüche, Versuche des Küssens, Drücken seines erigierten Gliedes gegen das Gesäß einer Mitarbeiterin und das Knabbern am Ohrläppchen einer anderen.

Der Arbeitnehmer zweifelte die Schilderungen der Mitarbeitenden an.

Das LAG stellte jedoch fest, dass der Arbeitnehmer sich insbesondere gegenüber jüngeren, ihm hierarchisch unterstellten Kolleginnen wiederholt übergriffig verhalten hatte. Das Gericht hielt die Aussagen der Zeuginnen für glaubhaft und detailliert. Eine vorherige Abmahnung sei angesichts der Schwere der Pflichtverletzungen entbehrlich gewesen.

Sexuelle Belästigung: Definition und arbeitsrechtliche Folgen

Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz liegt eine Benachteiligung durch sexuelle Belästigung vor, wenn ein sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betroffenen Person verletzt wird. Bereits einmalige Übergriffe können sexuelle Belästigung in diesem Sinne sein. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, seine Mitarbeitenden wirksam zu schützen – auch durch arbeitsrechtliche Maßnahmen wie Versetzung, Abmahnung oder eben Kündigung.

Ist eine Abmahnung bei sexueller Belästigung immer notwendig?

Nein. Das Ultima-Ratio-Prinzip im Kündigungsschutzrecht sieht die Abmahnung als Regelfall vor. Doch sie ist entbehrlich, wenn:

  • erkennbar ist, dass keine Verhaltensänderung zu erwarten ist, auch wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer abmahnen würde oder
  • die Pflichtverletzung so schwer wiegt, dass selbst eine erstmalige Hinnahme unzumutbar und offensichtlich ausgeschlossen ist.

Im besagten Fall stellte das Gericht klar: Die Belästigungen waren so gravierend, dass das Vertrauensverhältnis nachhaltig zerstört war. Die Kündigung wegen Belästigung war somit auch ohne Abmahnung wirksam.

Wiederholungskündigung: Darf man dieselben Gründe nochmals verwenden?

Der Arbeitnehmer argumentierte, dass es sich um eine unzulässige Wiederholungskündigung handele, da dieselben Vorwürfe bereits in einem Verfahren wegen einer früheren Kündigung Thema waren. Das LAG wies dies zurück: Die erste Kündigung wurde per Versäumnisurteil gekippt, ohne dass das Gericht die Gründe materiell geprüft hatte. Eine Präklusion liege daher nicht vor.

Fazit: Klare arbeitsrechtliche Linie gegen sexuelle Belästigung

Dieses Urteil zeigt deutlich: Bei schwerwiegenden Fällen sexueller Belästigung, insbesondere durch Vorgesetzte, ist eine Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung zulässig und erforderlich. Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, ihre Mitarbeitenden zu schützen und Belästigung nicht zu tolerieren.

Tipp für Arbeitgeber:

Dokumentieren Sie Fälle der sexuellen Belästigung bzw. Übergriffe gründlich und prüfen Sie stets, ob eine Abmahnung erforderlich ist oder nicht. Das Prozedere ist allerdings nicht so genau wie in einem Mobbingsfall in Frankreich.

Tipp für Arbeitnehmer:

Sexuelle Belästigung kann auch ohne Wiederholungsfall zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen.

Wer in leitender Funktion mit einem Team ist, trägt besondere Verantwortung im Kontext sexueller Belästigung im Team.

Françoise Berton, französische Rechtsanwältin

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Bild: Photographee.eu

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