Selbständiges Beweisverfahren in Frankreich: Verteidigungsstrategien für deutsche Unternehmen
Aktualisiert am 28.11.25
Der Praxisleitfaden 2026
„Der Gutachter wurde gerade ernannt. Soll ich zum ersten Termin kommen? Wir haben doch nichts falsch gemacht.“
Diese Frage erreicht uns regelmäßig – meist 2-3 Wochen nachdem der Richter das Beweisverfahren eröffnet hat. Und unsere Antwort ist immer dieselbe: Ja, es ist absolut notwendig. Und Sie haben genau JETZT noch die Chance, das Verfahren zu Ihren Gunsten zu beeinflussen.
Viele deutsche Hersteller kontaktieren uns in dieser kritischen Phase: Der französische Kunde hat geklagt, der Richter hat einen Gutachter ernannt, und jetzt steht der erste Termin an. Was Sie in den nächsten 2-4 Wochen tun (oder nicht tun), entscheidet über Millionen Euro.
Nicht die Qualität Ihres Produkts. Nicht Ihre technischen Argumente. Sondern: Ob Sie die richtigen Anträge stellen, die richtigen Leute schicken und die richtigen Momente nutzen.
Dieser Artikel zeigt Ihnen, was wirklich passiert in einem Beweisverfahren in Frankreich – basierend auf über 100 Fällen, die wir seit 2007 begleitet haben.
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In diesem Artikel:
- Die 5 kritischen Fehler deutscher Hersteller
- Action directe: Warum Sie trotz Händler verklagt werden
- Der Ablauf – Was wirklich passiert
- Torpedo-Strategie: Französisches Hauptverfahren verhindern
- Privatgutachten vs. référé-expertise
- Was kostet ein Beweisverfahren?
- Praxisfälle aus unserer Kanzlei
- Checkliste für Hersteller
Die 5 kritischen Fehler deutscher Hersteller
In über 19 Jahren Praxis haben wir hunderte Beweisverfahren gesehen. Die teuersten Fehler wiederholen sich immer wieder:
Fehler 1: „Wir haben alles richtig gemacht, da reagieren wir nicht“
Das denkt der Hersteller: „Unsere Maschine ist einwandfrei. Der Kunde will nur Geld. Das wird sich schon von selbst klären.“
Was wirklich passiert: Das französische Gericht ist zuständig, sobald die Beweisaufnahme in Frankreich stattfinden soll. Ihre deutsche Gerichtsstandsklausel schützt Sie nicht. Der Richter ernennt einen Gutachter. Wenn Sie nicht reagieren, hört der Gutachter nur die Seite des Klägers. Das Gutachten fällt gegen Sie aus.
Resultat: Im Hauptverfahren haben Sie ein Gutachten, das Ihnen die Schuld gibt. Sie verlieren – egal wie gut Ihr Produkt war.
Praxistipp: Reagieren Sie innerhalb von 15 Tagen nach Zustellung. Auch wenn Sie überzeugt sind, keine Schuld zu haben. Die ersten Anträge entscheiden über den Ausgang.
Fehler 2: „Das Produkt kostet nicht viel, der Schaden wird niedrig sein“
Das denkt der Hersteller: „Wir haben eine Komponente für 50.000 € geliefert. Selbst wenn wir haften, wird der Schaden überschaubar sein.“
Was wirklich passiert: Nach französischem Recht haftet der Hersteller für Folgeschäden. Eine defekte 50.000-€-Maschine kann eine ganze Produktionslinie stilllegen. Der Schaden: Betriebsausfall, entgangener Gewinn, Neuinvestition. Plötzlich geht es um Millionen.
Resultat: Sie werden auf 2 Millionen € verklagt für eine Maschine, die 50.000 € gekostet hat.
Reales Beispiel: Kühlaggregat für 35.000 € hatte einen Defekt. Folge: Verdorbene Tiefkühlware für 500.000 €, Betriebsausfall 3 Monate = 1,2 Mio. € entgangener Gewinn. Gesamtforderung: 1,7 Millionen €.
Fehler 3: „Unser Techniker kann das erklären, wir brauchen keinen Anwalt“
Das denkt der Hersteller: „Das ist ein technisches Problem. Unser Ingenieur kann dem Gutachter erklären, wie die Maschine funktioniert.“
Was wirklich passiert: Das référé-expertise ist ein Gerichtsverfahren, kein technisches Meeting. Es gelten strikte Prozessregeln:
- Anträge müssen schriftlich und fristgerecht gestellt werden
- Stellungnahmen („Dires“) folgen einem bestimmten Format und einer gesetzlichen Logik
- Der Gutachterauftrag muss VOR Beginn der Untersuchung beeinflusst werden
- Ohne Anwalt können Sie den Gutachter nicht austauschen lassen, keine Fristverlängerungen beantragen, keine Gegen-Anträge stellen
Resultat: Ihr Techniker erklärt zwar gut die Technik, aber alle verfahrensrechtlichen Hebel bleiben ungenutzt. Der Gutachter untersucht nur, was der Kläger beantragt hat – nicht, was auch SIE untersucht haben wollen.
Fehler 4: „Wir schicken einfach neue Teile, dann ist das Problem gelöst“
Das denkt der Hersteller: „Kulanz zeigt Goodwill. Wir liefern kostenlos Ersatzteile, dann gibt der Kunde Ruhe.“
Was wirklich passiert: Im Beweisverfahren wird diese Kulanz oft als Schuldeingeständnis interpretiert. „Wenn der Hersteller neue Teile schickt, dann gibt er ja zu, dass die alten Teile mangelhaft waren.“
Resultat: Ihre Kulanz wird gegen Sie verwendet. Plus: Der Kunde will jetzt trotzdem Schadensersatz für den Betriebsausfall.
Praxistipp: Jede Kommunikation mit dem Kläger – auch Kulanzangebote – muss juristisch abgesichert sein. Ein falsches Wort kann Sie Millionen kosten.
Fehler 5: Der Geschäftsführer geht zu den Terminen statt dem Techniker
Das denkt der Hersteller: „Ich zeige als Geschäftsführer Präsenz und Ernsthaftigkeit.“
Was wirklich passiert: Der Gutachter stellt hochkomplexe technische Fragen. Der Geschäftsführer kann nicht antworten. Er sagt: „Das muss ich mit meinen Technikern klären.“ Der Gutachter notiert: „Der Hersteller konnte keine technischen Erklärungen liefern.“ Klar: Man kann noch im Nachhinein Erklärungen liefern, aber der Gutachter hat vielleicht schon seine Meinung gebildet.
Umgekehrt: Nur der Techniker kommt, ohne Anwalt. Er erklärt die Technik perfekt, aber vergisst zu erwähnen, dass der Kunde die Maschine falsch bedient hat. Der Gutachter untersucht die Bedienung nicht, weil niemand danach gefragt hat.
Resultat: Falsche Besetzung = verlorenes Verfahren.
Die richtige Besetzung: Anwalt (führt rechtlich) + Techniker (beantwortet Fachfragen) + ggf. eigener Privatgutachter. Diese drei müssen VOR jedem Termin gemeinsam die Strategie besprechen.
Machen Sie nicht dieselben Fehler wie hunderte andere vor Ihnen.
Action directe: Warum Sie trotz Händler verklagt werden
Deutsche Hersteller verstehen oft nicht, warum sie verklagt werden, obwohl sie nie einen Vertrag mit dem französischen Endkunden hatten.
Die typische Situation:
Lieferkette:
- Deutscher Hersteller A liefert Maschine an französischen Händler B
- Händler B verkauft weiter an französischen Endkunden C
- Endkunde C behauptet: Maschine ist mangelhaft
Logische Erwartung: C verklagt B (seinen Vertragspartner), B verklagt A.
Französische Realität: C verklagt direkt A – ohne B einzubeziehen.
Warum ist das möglich?
Die „action directe“ ist ein französisches Rechtsinstitut, das dem Endkäufer erlaubt, jedes Glied der Lieferkette direkt zu verklagen. Die Gewährleistungsansprüche „wandern mit der Ware“.
Was schützt Sie NICHT:
- Gerichtsstandsvereinbarung mit Händler B → gilt nur zwischen A und B, nicht gegenüber C
- Haftungsausschluss mit Händler B → gilt nur zwischen A und B, nicht gegenüber C
- „Wir haben mit C nie Kontakt gehabt“ → irrelevant
- „C soll erst B verklagen“ → C darf wählen, wen er verklagt
Neue Rechtsprechung 2023-2024: Es wird noch schlimmer
Bis vor kurzem galt: Wenn Sie im Erstvertrag mit B deutsches Recht vereinbart haben, konnte C Sie nur nach deutschem Recht verklagen. Das war Ihr Schutz.
Seit 2023 gilt: Die französische Cour de Cassation hat entschieden, dass die Rechtswahl im Erstvertrag gegenüber C NICHT wirkt. C verklagt Sie nach französischem Deliktsrecht – mit all seinen Nachteilen für Sie:
- Verjährung: 5 Jahre statt 2 Jahre
- Verjährungsbeginn: ab Kenntnis des Schadens (oft erst nach dem Gutachten!)
- Folgeschäden: voll ersatzfähig
- Beweislast: oft zugunsten des Kunden
Konsequenz für deutsche Hersteller:
Sie können die action directe nicht mehr vertraglich ausschließen. Selbst perfekte AGB schützen Sie nicht mehr. Ihre einzige Verteidigung: Gute Produkthaftpflichtversicherung + professionelle Vertretung im Beweisverfahren.
Warum ist das im Beweisverfahren relevant?

Weil C oft die action directe nutzt, um Sie als zahlungskräftigen deutschen Hersteller direkt ins Beweisverfahren zu ziehen – und den französischen Händler B außen vor zu lassen. Sie können dann nicht argumentieren: „B hat die Maschine falsch installiert“ – denn B ist gar nicht am Verfahren beteiligt.
Unsere Strategie: Wir beantragen, wenn es für Sie in Ordnung ist, dass B und alle anderen Beteiligten dem Verfahren beitreten müssen. So können wir nachweisen, wer wirklich schuld ist. Aber das muss FRÜH beantragt werden – später ist es zu spät.
→ Mehr zur action directe: Produkthaftung in Frankreich: Was deutsche Hersteller wissen müssen
Der Ablauf – Was wirklich passiert
Ein référé-expertise läuft in 4 Phasen ab. Hier ist, was in jeder Phase passiert – und wo Sie Einfluss nehmen müssen:
Phase 1: Die Klage (Woche 1-8)
Was passiert:
- Kläger reicht Antrag beim zuständigen französischen Gericht ein
- Antrag enthält: Beschreibung des Mangels, gewünschter Gutachterauftrag, Schadensschätzung
- Sie werden vorgeladen zu einer Anhörung (meist 4-8 Wochen später)
Was Sie TUN müssen:
- Sofort Anwalt einschalten – Sie haben nur wenige Wochen
- Zuständigkeit prüfen: Ist das französische Gericht überhaupt zuständig?
- Klageanträge analysieren: Was will der Kläger untersuchen lassen?
- Gegen-Anträge vorbereiten: Was wollen SIE untersuchen lassen?
- Torpedo-Strategie prüfen: Sollen Sie parallel in Deutschland zur den Ansprüchen klagen?
Typische Dauer: 4-8 Wochen von Klageeinreichung bis Anhörung
Phase 2: Die Anhörung und Gutachterernennung (Woche 8-16)
Was passiert:
- Anhörung vor dem Richter (meist „juge des référés“ = Eilrichter)
- Kläger trägt seine Anträge vor, Sie tragen Ihre Verteidigung vor
- Richter entscheidet: Wird ein Gutachter ernannt? Wenn ja, mit welchem Auftrag?
- Richter ernennt Gutachter aus der Liste des Berufungsgerichts
Was Sie TUN müssen:
- Erscheinen zur Anhörung: Ja oder nein, je nach Sachverhalt
- Erweitern des Gutachterauftrags beantragen: „Der Gutachter soll nicht nur X untersuchen, sondern auch Y und Z“ – z.B. Fehler des Kunden, Fehler anderer Beteiligter
- Falls mehrere Beteiligte fehlen: Beantragen, dass sie dem Verfahren beitreten
- Befangenheitsantrag prüfen: Kennt der ernannte Gutachter eine der Parteien?
Kritischer Moment:
Der Gutachterauftrag, den der Richter festlegt, bestimmt, WAS untersucht wird. Was NICHT im Auftrag steht, wird NICHT untersucht. Das ist Ihre wichtigste Stellschraube.
Beispiel: Kläger beantragt: „Gutachter soll feststellen, ob Maschine mangelhaft ist.“
SIE beantragen zusätzlich: „Gutachter soll auch feststellen, ob Maschine vom Kunden sachgerecht bedient wurde und ob Installation gemäß Handbuch erfolgte.“
Ergebnis: Gutachter findet zwar Mängel, aber auch grobe Bedienungsfehler. Haftungsquote: 50/50 statt 100% Sie.
Typische Dauer: 2-8 Wochen nach Anhörung: Beschluss mit Gutachterernennung
Phase 3: Das Gutachtenverfahren (Monat 16-40)

Das ist die längste und wichtigste Phase. Hier wird entschieden, wer haftet.
Schritt 1: Kick-off-Meeting (Monat 16-17)
Was passiert: Gutachter lädt alle Parteien zum ersten Termin. Er stellt sich vor, erklärt seinen Auftrag, stellt erste Fragen, plant die weiteren Termine.
Was Sie TUN müssen:
- Anwalt + Techniker + idealerweise eigener Privatgutachter nehmen teil
- Eindruck machen: „Wir nehmen das ernst, wir sind professionell vorbereitet“
- Erste technische Erklärungen geben
- Zugriff auf Maschine, Unterlagen, Baustelle etc. klären
Schritt 2: Untersuchungstermine (Monat 18-30)
Was passiert: Gutachter führt Untersuchungen durch:
- Besichtigung vor Ort (Maschine, Anlage, Baustelle)
- Tests, Messungen, Probenahmen
- Befragung der Parteien
- Durchsicht von Unterlagen (Verträge, Handbücher, Korrespondenz)
Was Sie TUN müssen:
- An JEDEM Termin teilnehmen (Anwalt + Techniker)
- „Dires“ einreichen – das sind schriftliche Stellungnahmen zu den Feststellungen des Gutachters. Diese werden im Bericht dokumentiert.
- Eigene Beweise vorlegen: Fotos, Videos, Messungen, Zeugenaussagen
- Gegenfragen stellen: „Herr Gutachter, haben Sie auch X untersucht?“
- Falls Gutachter inkompetent: Antrag auf Beiordnung eines Fachgutachters („sapiteur“) oder Austausch des Gutachters (schwieriger und selten genehmigt)
Häufiger Fehler: Die Parteien denken, 1-2 Termine reichen. In Wahrheit gibt es oft 3-6 Termine über 8-12 Monate. Wer nicht durchhält und nicht zu allen Terminen kommt, verliert.
Schritt 3: Vorbericht (Monat 31-35)
Was passiert: Gutachter erstellt einen Vorentwurf seines Berichts („pré-rapport“) und schickt ihn an alle Parteien.
Was Sie TUN müssen:
- SOFORT analysieren – Sie haben nur 15-30 Tage für Stellungnahme
- Fehler identifizieren: Rechenfehler, falsche Annahmen, übersehene Beweise
- Letzte Stellungnahme einreichen – das ist Ihre letzte Chance, Einfluss zu nehmen
Vorsicht Der Vorbericht ist NICHT der Endbericht
Viele Mandanten entspannen sich, wenn der Vorbericht gut aussieht. Fehler! Der Gutachter kann im Endbericht noch alles ändern, auch wenn es nicht oft passiert. Bleiben Sie wachsam bis zum Schluss.
Schritt 4: Endbericht (Monat 36-40)
Was passiert: Gutachter erstellt finalen Bericht und legt ihn beim Gericht nieder. Damit ist das Beweisverfahren abgeschlossen.
Typische Gesamtdauer Phase 3: ca. 22 Monate (bei komplexen Fällen: 26+ Monate)
Kosten in dieser Phase:
- Gutachterkosten: 10.000 – 50.000 € (zahlt zunächst Kläger als Vorschuss, am Ende trägt Verlierer)
- Eigener Privatgutachter (optional): 5.000 – 20.000 €
Phase 4: Nach dem Gutachten
Szenario A: Vergleich (60% unserer Fälle)
Wenn das Gutachten vorliegt, kennen beide Seiten ihre Position. Oft einigen wir uns jetzt (ohne den Gutachter):
- Gutachten sagt: 50/50 Schuld → Vergleich über 50% des Schadens
- Gutachten sagt: Sie sind schuld, aber Schaden niedriger als gedacht → Vergleich über realen Schaden
- Gutachten sagt: Beide haben Fehler gemacht → Vergleich mit Rabatt
Szenario B: Hauptverfahren (40% unserer Fälle)
Wenn keine Einigung, klagt eine Seite vor Gericht (meist „tribunal de commerce = Handelsgericht oder „tribunal judiciaire“ = Zivilgericht). Das Gutachten ist das Hauptbeweismittel. Ein neues Gutachten wird selten zugelassen.
Dauer Hauptverfahren: 18-36 Monate zusätzlich
Kosten Hauptverfahren: 30.000 – 150.000 €
Torpedo-Strategie: Französisches Hauptverfahren verhindern
Oftmals darf der Endkunde auch vor dem französischen Gericht seine Schadensersatzansprüche einfordern. Die „Torpedo-Klage“ ist eine fortgeschrittene Strategie, die das in bestimmten Fällen vermeidet:
Wie funktioniert sie?
- Französischer Kunde verklagt Sie auf référé-expertise in Frankreich
- SIE leiten parallel ein Hauptverfahren in Deutschland ein (z.B. Feststellungsklage, dass Sie nicht haften)
- Nach EU-Recht dürfen nicht zwei Gerichte über denselben Streitgegenstand entscheiden
- Das französische Gericht muss das spätere Hauptverfahren aussetzen → Kunde kann nach dem Beweisverfahren nicht mehr in Frankreich klagen
Wichtig: Das Beweisverfahren läuft weiter
Die Torpedo-Klage blockiert nur das französische Hauptverfahren, nicht das Beweisverfahren selbst. Das Gutachten wird trotzdem erstellt.
Wann ist die Torpedo-Strategie sinnvoll?
Vorteile:
- Sie streiten später in Deutschland (Ihr Heimvorteil, Ihre Sprache)
- Deutsches Recht ist oft günstiger für Hersteller (kürzere Verjährung, niedrigerer Schadensersatz)
- Psychologischer Druck auf Kläger: „Wenn du nach dem Gutachten weitermachen willst, musst du in Deutschland klagen“
Nachteile:
- Zusätzliche Kosten: Sie müssen jetzt auch in Deutschland einen Anwalt bezahlen
- Risiko: Wenn Sie die deutsche Klage verlieren, haben Sie ein zweites negatives Urteil
- Komplexität: Sie koordinieren jetzt zwei Verfahren parallel
- Funktioniert nur, wenn KEIN französisches Recht zwingend anwendbar ist
Wann funktioniert es NICHT?
- Bei action directe mit französischem Recht (siehe oben – Rechtsprechung 2023)
- Bei Bauverträgen mit Baustelle in Frankreich (zwingendes französisches Recht)
- Wenn Sie im Erstvertrag bereits französisches Recht gewählt haben
Unsere Einschätzung: Die Torpedo-Strategie wird durch die neue Rechtsprechung zur action directe immer schwieriger. Sie funktioniert noch bei direkten B2B-Verträgen mit Rechtswahl. In allen anderen Fällen prüfen wir individuell.
Privatgutachten vs. référé-expertise
Viele Mandanten fragen: „Können wir nicht einfach ein eigenes Gutachten erstellen lassen, statt ein gerichtliches Beweisverfahren durchzuführen?“
Was ist ein Privatgutachten?
Ein Privatgutachten wird von einer Partei (oder mehreren gemeinsam) beauftragt, ohne Einschaltung des Gerichts. Der Gutachter ist frei wählbar.
Vergleich:
| Kriterium | Privatgutachten | Référé-expertise |
|---|---|---|
| Gutachterwahl | ✓ Frei wählbar | ✗ Vom Richter ernannt |
| Kosten | ✓ Meist günstiger (5.000-20.000 €) | ✗ Teurer (10.000-50.000 €) |
| Dauer | ✓ Schneller (2-6 Monate) | ✗ Langsamer (12-24 Monate) |
| Flexibilität | ✓ Sie bestimmen Umfang und Timing | ✗ Richter bestimmt Auftrag |
| Beweiskraft | ✗ Gering – kann vom Richter ignoriert werden | ✓ Sehr hoch – Richter folgt meist dem Gutachten |
| Kontradiktorischer Charakter | ✗ Nur wenn ALLE Parteien zustimmen | ✓ Immer – alle Parteien müssen gehört werden |
| Verwertbarkeit im Prozess | Unsicher | ✓ Voll verwertbar |
Wann ist ein Privatgutachten sinnvoll?
Szenario 1: Vor dem Streit
Situation: Sie vermuten, dass ein Kunde bald Ansprüche geltend macht, aber er hat noch nicht geklagt.
Strategie: Eigenes Gutachten erstellen, um Ihre Position zu stärken. Wenn das Gutachten gut ausfällt, können Sie damit eventuell einen Prozess verhindern.
Risiko: Wenn das Gutachten schlecht ausfällt, haben Sie Geld ausgegeben und Ihre Position verschlechtert.
Szenario 2: Gemeinsames Gutachten
Situation: Sie und der Kunde wollen sich einigen, sind aber unsicher über technische Fragen.
Strategie: Beide beauftragen gemeinsam einen Gutachter. Wenn beide zustimmen, kann dieses Gutachten auch vor Gericht verwertbar sein.
Vorteil: Schneller und günstiger als référé-expertise, aber mit ähnlicher Beweiskraft.
Voraussetzung: Beide Seiten müssen dem Gutachter, dem Auftrag und dem Ablauf zustimmen. In der Praxis schwierig. Und man verliert kostebare Zeit, in der die Maschine kaputt gehen kann.
Szenario 3: Parallel zum référé-expertise
Situation: Das référé-expertise läuft bereits, aber Sie trauen dem gerichtlichen Gutachter nicht.
Strategie: Eigenen Privatgutachter hinzuziehen, der Sie bei den Terminen begleitet und Gegen-Argumentationen liefert.
Kosten: Zusätzlich 5.000-15.000 €, aber oft entscheidend für den Ausgang.
Rechtsprechung zu Privatgutachten
Die französische Cour de Cassation hat klargestellt:
„Ein einseitiges Privatgutachten, bei dem die Gegenpartei nicht angehört wurde, ist kein ausreichendes Beweismittel im Prozess.“
Konsequenz: Ein Privatgutachten allein reicht NICHT, um im Hauptverfahren zu gewinnen. Sie brauchen immer noch ein gerichtliches Gutachten oder zumindest ein kontradiktorisches Privatgutachten (mit Anhörung aller Parteien).
Unsere Empfehlung:
- Vor Klage: Privatgutachten kann sinnvoll sein zur Risikoabschätzung
- Gemeinsames Gutachten: Beste Lösung, aber in der Praxis selten erreichbar
- Während référé-expertise: Eigener Berater (Privatgutachter) sehr empfehlenswert
- Nach référé-expertise: Zu spät für Privatgutachten – das gerichtliche Gutachten zählt
Praxisfälle aus unserer Kanzlei
Diese vier Fälle zeigen, warum professionelle Vertretung den Unterschied macht:
Fall 1: Industrieanlage Lebensmittelbereich – Die Einigung nach einem Termin
Ausgangslage:
- Deutscher Konstrukteur liefert Produktionsanlage direkt nach Frankreich (Kaufpreis: 1,2 Mio. €)
- Angebliche Mängel, Produktion steht still
- Schadensersatzforderung: 600.000 €
Unser Eingreifen:
- Gutachterauftrag erweitert: „Auch Bedienung und Wartung durch Kunden prüfen“
- Erster Termin: Nachgewiesen, dass BEIDE Seiten Fehler gemacht haben
- Verhandlungsstrategie: „Wir bauen neu auf unsere Kosten, aber kein Schadensersatz für Betriebsausfall“
Ergebnis:
- Einigung nach nur 1 Termin (statt 22 Monate)
- Konstrukteur zahlt: 220.000 € (Neubau)
- Ersparnis: 380.000 € + 2 Jahre Zeit
Fall 2: Maschinenhersteller – Komplett unschuldig gesprochen
Ausgangslage: Deutscher Maschinenhersteller wird verklagt, französischer Kunde behauptet schwere Mängel.
Unser Vorgehen:
- Lückenlose Dokumentation der korrekten Lieferung
- Nachweis: Schäden durch unsachgemäße Bedienung
- Technische Gegenbeweise im Gutachterverfahren
Ergebnis: Mandant komplett unschuldig gesprochen, 0 € Schadensersatz, Kläger trägt alle Kosten
Fall 3: Große Industrieanlage – Gutachter ausgetauscht
Ausgangslage:
- Mehrere Hersteller beteiligt
- Unser Mandant = Verkäufer der Gesamtanlage
- Schadenshöhe: 2,2 Millionen €
- Problem: Gutachter hat nicht die richtige Fachkompetenz
Unser Vorgehen:
- Antrag auf Austausch des Gutachters (erfolgreich!)
- Neuer fachkundiger Gutachter ermittelt: Mangel liegt bei Zuliefererteil
Ergebnis: Hersteller des Kleinteils verurteilt, unser Mandant: 0 € Haftung, Ersparnis: 2,2 Millionen €
Fall 4: Schadensbegrenzung trotz Verschulden
Ausgangslage: Deutscher Hersteller war tatsächlich schuld, Gutachter kalkuliert: 1,6 Millionen €
Unser Vorgehen:
- Denkfehler in Berechnungsmethodik identifiziert
- Rechtliche Unklarheiten ausgenutzt
- Alternative Schadensberechnungen eingereicht
Ergebnis: Im Hauptverfahren auf 700.000 € reduziert, Ersparnis: 900.000 €
Was diese Fälle zeigen:
- ✓ Der Gutachterauftrag ist entscheidend (Fall 1+2)
- ✓ Inkompetente Gutachter können ausgetauscht werden (Fall 3)
- ✓ Selbst bei Verschulden ist die Schadenshöhe verhandelbar (Fall 4)
- ✓ Professionelle Vertretung kann Millionen sparen
Checkliste für Hersteller: Das müssen Sie tun
Hier die wichtigsten Schritte in jeder Phase des Beweisverfahrens:
Phase 1: Sie erhalten die Klage (Tag 1-7)
Sofort Anwalt einschalten – Binnen 15 Tagen müssen erste Anträge gestellt werden Versicherung informieren – Prüfen, ob Produkthaftpflicht greift Alle Unterlagen sichern: Verträge, Lieferscheine, Korrespondenz, technische Dokumente, Handbücher Interne Taskforce bilden: Wer wird zu den Terminen gehen? (Techniker, Qualitätsmanager, ggf. Geschäftsführer) Erste technische Analyse: Was könnte der Kunde falsch gemacht haben?
Phase 2: Vorbereitung Anhörung (Tag 8-30)
Mit Anwalt Strategie besprechen: Torpedo-Klage sinnvoll? Gutachterauftrag erweitern? Gegen-Anträge formulieren: Was soll der Gutachter AUCH untersuchen? Fehlende Parteien identifizieren: Wer hat noch Fehler gemacht? (Zwischenhändler, Installateur, etc.) Beweismittel vorbereiten: Fotos, Videos, eigene Messungen Budget klären: Wie viel dürfen Anwaltskosten, Gutachterkosten, Vergleich maximal kosten?
Phase 3: Das Gutachtenverfahren (Monat 2-24)
An JEDEM Termin teilnehmen – Anwalt + Techniker (+ ggf. eigener Gutachter) Nach jedem Termin: Stellungnahme („Dire“) einreichen – Binnen 15-30 Tagen Regelmäßig mit Gutachter kommunizieren – Höflich, aber bestimmt Ihre Sicht einbringen Bei jedem Termin protokollieren: Was hat der Gutachter gesagt? Was hat er NICHT untersucht? Parallel verhandeln: Gibt es Chancen auf Vergleich? Vorbericht analysieren: Sofort reagieren, wenn Fehler drin sind
Phase 4: Nach dem Gutachten (Monat 18-24)

Endbericht analysieren: Wie steht es? Welche Optionen haben wir? Vergleichsverhandlungen: Ist Einigung möglich und sinnvoll? Falls Hauptverfahren: Strategie mit Anwalt besprechen Lessons Learned intern dokumentieren: Was haben wir gelernt für zukünftige Fälle?
Bonus: Prävention (BEVOR der Streit entsteht)
AGB prüfen: Sind Haftungsbeschränkungen, Gerichtsstandsklauseln, Rechtswahl enthalten? Versicherung anpassen: Deckt sie action directe, B2B-Schäden, Frankreich? Dokumentation verbessern: Abnahmeprotokolle, Übergabeprotokolle, Schulungsnachweise Wartungsverträge: Kunde muss regelmäßig warten lassen – dokumentiert! Frühwarnsystem: Bei ersten Beschwerden sofort eskalieren, nicht „aussitzen“
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Fazit: Warum die ersten Wochen entscheiden
Nach über 100 Beweisverfahren für deutsche Hersteller ist unsere Erkenntnis klar:
1. Das Beweisverfahren ist das echte Verfahren
Das spätere Hauptverfahren ist oft nur noch Formsache. Was im Gutachten steht, wird Realität. Deshalb: Kämpfen Sie im référé-expertise, nicht erst im Hauptverfahren.
2. Die ersten 4 Wochen sind entscheidend
Der Gutachterauftrag, den der Richter festlegt, bestimmt 80% des Ausgangs. Wenn Sie zu spät eingreifen, ist die Richtung schon vorgegeben.
3. „Wir haben nichts falsch gemacht“ ist keine Strategie
Selbst bei perfekten Produkten müssen Sie aktiv beweisen, dass der Schaden NICHT Ihre Schuld ist. Wer schweigt, verliert.
4. Boutique-Kanzleien haben Vorteile
In Beweisverfahren zählt Geschwindigkeit, Pragmatismus und persönliche Betreuung. Sie brauchen jemanden, der sofort reagiert – nicht eine Hierarchie von Junioranwälten.
Professionelle Verteidigung in französischen Beweisverfahren
Ihre Vorteile mit Berton & Associés:
- ✓ Deutsch-französische Anwaltskanzlei mit Büros in Straßburg, Paris & Mannheim
- ✓ Grosse Erfahrung mit Produkthaftung & industriellen Risiken
- ✓ Direkte Kommunikation auf Deutsch – Schriftsätze auf Französisch
- ✓ Enge Zusammenarbeit mit Ihrem deutschen Anwalt und Ihrer Versicherung
Antwort innerhalb von 48 Stunden | Erstgespräch zur Orientierung
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
Alle Urheberrechte vorbehalten
Bilder: vege, Robert Kneschke, contrastwerkstatt Corgarashu, Minerva studio, Mickyso




