Wird die Verjährungsfrist durch eine Mahnung unterbrochen?
09.08.22

Die Verjährung ist ein wesentliches Abwehrmittel gegen einen zum Beispiel vor Gericht geltend gemachten Anspruch und wird von Gläubigern gefürchtet: Wenn sie greift, existiert ein geltend gemachtes Recht nicht mehr. Aufgrund dieser unabwendbaren vernichtenden Wirkung der Verjährung ist die Priorität eines Gläubigers, der zum Beispiel sein Geld nicht verlieren möchte, zum Schutz seiner Zahlungsklage oft die Überprüfung der Aussetzung oder Unterbrechung der Verjährungsfrist. Jedoch ermöglicht nicht jede Handlung die Verjährungsunterbrechung. Nur die vom Gesetz abschließend aufgelisteten Fälle werden zugelassen. Daran erinnert zum Beispiel die Kammer für Handelssachen des frz. BGH, des Kassationshofs, in ihrem Urteil vom 18.05.2022.
Grundsätze der Verjährung
Die Verjährung bedeutet rechtlich, dass nach Verstreichen einer gewissen Frist, der Gläubiger die Möglichkeit verliert, seinen Anspruch geltend zu machen. Im französischen Zivilrecht beträgt die Verjährungsfrist des allgemeinen Rechts – d. h. außer in gesetzlich vorgesehenen Ausnahmefällen – fünf Jahre.
Beispiel: Eine Person hat seit dem 01.08.2022 eine Geldforderung i. H. v. EUR 1.000 gegenüber einer anderen Person: Wurde diese Forderung noch immer nicht beglichen, kann der Gläubiger bis zum 01.08.2027 vor Gericht gehen. Wenn jedoch nichts geschehen ist und der Gläubiger nicht zum Schutz seines Rechts gehandelt hat, so ist sein Recht ab dem 02.08.2027 verjährt: Er kann nun nicht mehr vor Gericht gehen und nicht mehr die Begleichung der EUR 1.000 fordern. Die Verjährung bestraft folglich die Untätigkeit der Inhaber eines Anspruchs.
Dennoch verläuft eine Verjährungsfrist selten geradlinig. Es können Ereignisse auftreten, die die Frist aussetzen (Aussetzung) bzw. die abgelaufene Zeit auslöschen und die Frist erneut beginnen lassen (Unterbrechung).
- Aussetzung der Verjährung: Das Auftreten eines bestimmten Ereignisses setzt das Ablaufen der Frist aus.
Am Ende des betreffenden Ereignisses läuft die Verjährungsfrist ab dem Zeitpunkt weiter, zu dem sie ausgesetzt wurde. Eine Verjährung ist zum Beispiel ausgesetzt, wenn die Parteien in einem Gerichtsverfahren entscheiden, auf eine Schlichtung zurückzugreifen oder wenn ein Gutachten angeordnet wird: Während der Schlichtung oder dem Gutachten läuft die Frist nicht weiter.
- Unterbrechung der Verjährung: Die abgelaufene Zeit wird als rechtlich irrelevant betrachtet und die Frist beginnt erneut bei null. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Schuldner den Anspruch eines Gläubigers anerkennt (Schuldanerkennung) oder wenn der Gläubiger vor Gericht klagt, und zwar auch im Eilverfahren und sogar, wenn das angerufene Gericht nicht zuständig ist oder die Klage wegen eines Verfahrensfehlers abgewiesen wird.
Seit mehr als fünf Jahren unbezahlte Verbindlichkeiten
Die dem Urteil vom 18.05.2022 zugrundeliegenden Tatsachen sind klassischer Art. Im Rahmen seiner Berufstätigkeit hat ein Arzt am 10.02.2008 mit der Gesellschaft Profilease einen Mietvertrag für medizinische Geräte abgeschlossen, und zwar für eine Dauer von 60 Monaten und eine Monatsmiete von EUR 743,91. Ab dem 01.01.2011 hat der Arzt die Mietzahlungen eingestellt. Am 12.10.2016 hat die Gesellschaft Franfinance, die in die Rechte der Gesellschaft Profilease eingetreten ist, den Arzt verklagt, insbesondere auf Zahlung der fälligen und noch offenen Mieten.
Als Verteidigungsmittel hat der Arzt die Verjährung der fälligen Mieten angegeben, die am 12.10.2011 eingesetzt habe, d. h. bereits mehr als fünf Jahren vor der Klage. In der Tat gilt im vorliegenden Fall die allgemeine Verjährungsfrist und beträgt folglich fünf Jahre.
Jedoch haben weder die Richter in erster Instanz noch die Berufungsrichter dem Arzt Recht gegeben; sie haben ihn vielmehr zur Zahlung der noch offenen Mieten verurteilt, einschließlich der vor dem 12.10.2011 fälligen Mieten. Laut dem Berufungsgericht hatte der Schuldner zwei Mahnungen zur Mietzahlung erhalten, am 27.04.2011 und 03.04.2013, sodass am Tag der Zustellung der Klage, dem 12.10.2016, die Verjährung durch diese Mahnungen unterbrochen worden war und der Schuldner diese folglich nicht geltend machen könne.
Letzterer legte daraufhin Revision vor dem frz. BGH, dem Kassationshof, ein.
Eine Mahnung kann nicht als Unterbrechung der Verjährungsfrist ausgelegt werden
In der Revision warf der Arzt dem Berufungsgericht vor, sein Argument der Verjährung der vor dem 12.10.2016 fälligen Mieten zurückgewiesen zu haben, obwohl eine Mahnung die Verjährungsfrist nicht unterbreche. Der frz. BGH hat diese Begründung zugelassen.
In ihrem Urteil vom 18.05.2022 stützen sich die Richter auf die Artikel 2224, 2240, 2241 und 2444 des frz. Zivilgesetzbuches. Zuerst erinnern sie an daran, dass der erste dieser Artikel eine Verjährungsfrist von fünf Jahren vorsieht und in Anwendung der drei anderen Artikel die Verjährungsfrist nur unterbrochen werden kann durch:
- eine Klage vor Gericht, auch im Eilverfahren;
- eine Maßnahme der vorsorglichen Unterbrechung, ergriffen in Anwendung der frz. Zivilprozessordnung;
- eine Vollstreckungshandlung.
Diese Auflistung der die Verjährungsfrist unterbrechenden Fälle ist abschließend. Mit anderen Worten: Die Richter verfügen über keinerlei Spielraum, um dieses oder jenes Ereignis als die Verjährung unterbrechend anzuerkennen, da nur die ausdrücklich vom frz. Zivilgesetzbuch vorgesehenen Ursachen berücksichtigt werden können.
Der frz. BGH erinnert zu Recht daran, dass eine Mahnung, unabhängig davon, ob diese per Einschreiben mit Rückschein versandt wurde oder nicht, die Verjährungsfrist einer Klage auf Zahlung von Mieten nicht unterbricht. In dem vorliegenden Fall hat die Mahnung lediglich Auswirkung auf den Ausgangspunkt der Verzugsstrafen.
Muss der Gläubiger schnellstmöglich vor Gericht handeln?
Sicher war der Gläubiger im vorliegenden Fall nachlässig, da er innerhalb von fünf Jahren lediglich Mahnungen an den Schuldner versendet hat. Allerdings kommt es oft vor, dass sich hinter dieser scheinbaren Nachlässigkeit der Versuch einer außergerichtlichen Einigung (zum Beispiel durch Verhandlungen) versteckt.
Zwar ist die Entscheidung des frz. BGHs juristisch logisch, jedoch birgt sie das Risiko, dass sich Parteien und ihre Anwälte in Zukunft schneller an das Gericht wenden und keine Zeit mit gütlichen Verhandlungen verschwenden. Es ist in der Tat wahrscheinlich, dass Parteien und ihre Anwälte es aufgrund der Nutzlosigkeit der Mahnung in Bezug auf die Verjährung bevorzugen werden, ihr Recht schnellstmöglich zu sichern, indem sie den Schuldner verklagen, anstatt mit diesem eine gütliche Einigung zu finden.
Dies scheint folglich nicht im Einklang mit der aktuellen Tendenz der französischen Justiz, öfters zu gütlichen Einigungen von Streitfällen anzuregen, um die Gerichte nicht noch mehr zu belasten als sie es aufgrund der vielen Gerichtsverfahren ohnedies schon sind. Es wäre nicht erstaunlich, wenn die Idee des Einschreibens mit Rückschein als unterbrechende Ursache einer Verjährung, wie sie bereits während der Reform von 2008 erwähnt wurde, bei den zukünftigen Reformen in Bezug auf die Justiz erneut auftaucht.
Im aktuellen Rechtsstand ist es jedoch zu empfehlen, dass Parteien auch nach Versand einer Mahnung noch die Verjährungsfrist ihrer Forderung im Blick haben. Dies umso mehr, da die Verjährungsfrist je nach Art des Anspruchs kürzer sein kann: So ist zum Beispiel im Verbraucherschutzrecht eine Klage des Gewerbetreibenden gegenüber einem Verbraucher bereits nach zwei Jahren verjährt.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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