Was bedeutet die vorsorgliche Unterbrechung der Arbeitsleistung im französischen Arbeitsrecht?
24.01.19

Unterscheidung zwischen der vorsorglichen und der disziplinarischen Unterbrechung der Arbeitsleistung
Im Allgemeinen bezeichnet das frz. Arbeitsrecht als „Unterbrechung“ jegliche Maßnahme zur Unterbrechung des Arbeitsvertrages eines Arbeitnehmers durch dessen Arbeitgeber, die darin besteht, ihn vorübergehend vom Unternehmen auszuschließen. Auch wenn diese Definition alle Fälle einschließt, in denen ein Arbeitnehmer ausgeschlossen wird, weil seine Anwesenheit dem Unternehmen schaden könnte (schweres Fehlverhalten, körperliche und/oder verbale Auseinandersetzung mit den Kollegen, unmittelbare Bedrohung der Sicherheit, usw.), so umfasst die Unterbrechung der Arbeitsleistung in Wirklichkeit zwei Begriffe mit unterschiedlichen Definitionen:
- Die vorsorgliche Unterbrechung der Arbeitsleistung (mise à pied conservatoire): Es handelt sich dabei nicht um eine Sanktion, sondern um eine vorübergehende Maßnahme. Diese Maßnahme wird gegenüber einem Arbeitnehmer verkündet, dem relativ schwerwiegende Vorfälle vorgeworfen werden, welche eine Ausgrenzung aus der Gesellschaft rechtfertigen. Diese Maßnahme gibt dem Arbeitgeber die nötige Bedenkzeit, um über die Zukunft des Arbeitnehmers im Unternehmen nachzudenken. Die Vergütung wird weiterhin gezahlt.
- Die disziplinarische Unterbrechung der Arbeitsleistung (mise à pied disciplinaire): Das Verhalten des Arbeitnehmers als solches wird sanktioniert durch eine Aussetzung des Arbeitsvertrages und somit insbesondere durch eine Aussetzung der Vergütung. Der Arbeitnehmer muss die Vorgaben eines französischen Disziplinarverfahrens beachten.
Zwischen den beiden Formen der Unterbrechung sollte also genau unterschieden werden, denn die Anwendung der richtigen rechtlichen Regelung hängt von der gewählten Form der Unterbrechung ab. Diese Unterscheidung ist umso wichtiger, da sie Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Kündigung hat, die im Anschluss an die Unterbrechung des Arbeitsvertrages ausgesprochen wird. Unabhängig von der Bezeichnung, die der Arbeitgeber gewählt hat, kann der Richter eine verhängte vorsorgliche Arbeitsunterbrechung in die andere Kategorie umqualifizieren, wenn er der Auffassung ist, dass die Voraussetzungen einer vorsorglichen Unterbrechung nicht erfüllt sind. In diesem Fall und gemäß dem Grundsatz des französischen Arbeitsrechts, wonach es „keine zwei Sanktionen für das gleiche Verschulden“ (Grundsatz der Nichtkumulierung) geben darf, gilt die Disziplinargewalt des Arbeitgebers wegen des Verhaltens des Arbeitnehmers als ausgeschöpft. Infolgedessen kann danach für die gleiche Tat keine Kündigung mehr ausgesprochen werden.
Wie kann man erkennen und sichergehen, dass es sich um eine vorsorgliche Unterbrechung der Arbeitsleistung handelt? Wie sehen die Folgen und Grenzen dieser vorsorglichen Maßnahme aus? Diese Fragen wollen wir nachstehend auf der Grundlage des aktuellen Stands des Arbeitsrechts beantworten.
Kriterien, um zu bestimmen, ob eine Unterbrechung der Arbeitsleistung in der Tat vorsorglich ausgesprochen wird
Während eine „disziplinarische“ Unterbrechung sich nur vorübergehend auf die Vertragsbeziehung auswirkt und eine Sanktion von begrenzter Dauer bezeichnet, stellt die „vorsorgliche“ Unterbrechung keine Sanktion dar, sondern eine Maßnahme mit sofortiger Wirkung, für die sich ein Arbeitgeber entscheiden kann, wenn die Handlung des Arbeitnehmers diese unerlässlich werden lässt (Art. L. 1332-3 des frz. Arbeitsgesetzbuchs).
Auch wenn sie meistens einer härteren Sanktion (Kündigung, disziplinarische Unterbrechung, usw.) vorausgeht, so ist die vorsorgliche Unterbrechung vor allem eine Übergangsmaßnahme, mit Hilfe derer der Arbeitgeber sich Zeit nehmen kann, um darüber nachzudenken, wie es mit dem Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers weitergehen soll. Die vorsorgliche Unterbrechung darf der endgültigen Entscheidung nicht vorgreifen. Nach dieser Bedenkzeit kann der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer eine geringe Sanktion (Verwarnung, Tadel, usw.), eine fristlose Kündigung als Disziplinarmaßnahme oder sogar eine Kündigung wegen mangelnder beruflicher Eignung aussprechen (Kassationshof). Aber er muss dies nicht tun.
Deshalb sollte man die Kriterien, an denen man eine vorsorgliche Unterbrechung erkennen kann, gut kennen, damit die Unterbrechung nicht in eine Disziplinarmaßnahme umgewandelt wird. Folgende Punkte müssen für eine vorsorgliche Unterbrechung erfüllt werden:
- Ihr muss eine „Handlung“ des Arbeitnehmers vorausgehen, welche die Maßnahme „unerlässlich“ macht, aber der frz. Kassationshof ist der Auffassung, dass nur der Verdacht eines vorsätzlichen (oder groben) Verschuldens eine vorsorgliche Unterbrechung rechtfertigen kann (Kassationshof);
Aber Vorsicht: Auch wenn ausschließlich ein vorsätzliches bzw. grobes Verschulden die vorsorgliche Unterbrechung rechtfertigt, so wird dieses Verschulden nicht zwangsläufig als Grund für die die Kündigungsaussprache herangezogen. So kann ein Arbeitgeber am Ende des eingeleiteten Verfahrens lediglich eine mangelnde berufliche Eignung des Arbeitnehmers anführen, wodurch die Kündigung keine disziplinarische Maßnahme darstellt. Der französische Kassationshof hat in einem Urteil vom 03.02.2010 seine Rechtsprechung vom 16.01.2007 und 11.06.2008 klar bestätigt, wonach die Kündigung eines Arbeitnehmers nach einer vorsorglichen Unterbrechung der Arbeitsleistung nicht zwingend eine verhaltensbedingte Kündigung ist. Die Kündigung kann auch wegen mangelnder Leistungsfähigkeit des Arbeitsnehmers personenbedingt sein.; - Die vorsorgliche Unterbrechung muss der Einleitung eines Disziplinarverfahrens vorausgehen oder zeitgleich mit dieser stattfinden. Dieses Disziplinarverfahren muss im Prinzip direkt oder spätestens innerhalb kürzester Zeit eingeleitet werden, so dass der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, eine interne Untersuchung vorzunehmen. Der französische Kassationshof hat beispielsweise in einem Urteil vom 13.09.2012 entschieden, dass eine Frist von 13 Tagen als kurze Frist angemessen sei;
- Die vorsorgliche Unterbrechung der Arbeitsleistung muss im Prinzip von unbestimmter Dauer sein, da sie bis zur Mitteilung der endgültigen Sanktion andauern wird. Auch wenn der Kassationshof seit einem bekannten Urteil vom 18.03.2009 eine im Vorfeld festgelegte befristete Dauer akzeptiert, muss die vorsorgliche Unterbrechung jedoch zeitgleich mit dem Disziplinarverfahren beginnen, von ausreichend kurzer Dauer sein und nicht den Zeitraum überschreiten, der dem Disziplinarverfahren entspricht. In diesem am 18.03.2009 entschiedenen Fall, wurde der Arbeitnehmer zu einem Vorgespräch am 09.12.2003 einberufen mit einer vorsorglichen Unterbrechung „von 3 Tagen“, welche tatsächlich dem 12.12.2003 entsprach, für den das Vorgespräch vorgesehen war.
Der vorsorgliche Charakter sollte – muss aber nicht – mitgeteilt werden
Idealerweise sollte der vorsorgliche (und nicht disziplinarische) Charakter einer Unterbrechung der Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber in der Ladung zum Vorgespräch und in jedem anderen Dokument als solcher gekennzeichnet werden. In der Tat genügt der einfache Vermerk, dass es sich um eine vorsorgliche Unterbrechung handelt, um keine Zweifel am nicht-disziplinarischen Charakter der Maßnahme aufkommen zu lassen. Es ist in diesem Fall unerheblich, ob eine Dauer für die Unterbrechung festgelegt wurde.
In der Praxis erfolgt die vorsorgliche Unterbrechung der Arbeitsleistung allerdings oft mündlich und kann anschließend schriftlich in der Ladung zum Vorgespräch per Einschreiben, welche die Art der Maßnahme bestätigt, mitgeteilt werden.
Ein aktueller Fall veranschaulicht das Risiko, welches besteht, wenn ein ausdrücklicher Vermerk fehlt. In diesem Fall informierte der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer über eine Unterbrechung, ohne anzugeben, dass er ein Kündigungsverfahren einleiten wollte, ohne dieses Verfahren unmittelbar zu beginnen und ohne die Unterbrechung näher zu bestimmen. Unter diesen Umständen war unklar, ob es sich um eine disziplinarische oder eine vorsorgliche Unterbrechung handelte. Deshalb entschied sich das Gericht, diese Unterbrechung als „disziplinarisch“ einzustufen (Kassationshof). Infolgedessen war dem Arbeitgeber der Weg für die anschließende Kündigung des Mitarbeiters versperrt.
Rechtsfolgen einer vorsorglichen Unterbrechung der Arbeitsleistung
Da die vorsorgliche Unterbrechung keine Disziplinarstrafe darstellt, unterliegt sie somit nicht den strengen Vorschriften des französischen Rechts für Disziplinarmaßnahmen und muss deshalb:
- weder nach den Regeln des Disziplinarrechts mitgeteilt werden (Kassationshof, Urteil vom 14.11.1991);
- noch zwangsläufig nach der Formalität des Vorgesprächs stattfinden (Kassationshof, Urteil vom 26.11.1987).
Der Kernpunkt der Debatte ist aber ein ganz anderer. Ziel der vorsorglichen Unterbrechung ist es, den Arbeitnehmer bis zur Erledigung des Kündigungsverfahrens vom Unternehmen auszuschließen, was eine Aussetzung des Arbeitsvertrages und dementsprechend einen Lohnausfall bewirkt.
Aber Vorsicht! Nur wenn eine Kündigung wegen vorsätzlichem bzw. groben Verschulden ausgesprochen wird, ist der Lohnabzug gerechtfertigt. Dabei gilt Folgendes zu beachten:
- Der Arbeitgeber muss das vorsätzliche oder grobe Verschulden, das dem Arbeitnehmer vorgeworfen wird, als solches im gesamten eingeleiteten Disziplinarverfahren einstufen.
- Geschieht dies nicht, wird die Unterbrechung in eine Disziplinarstrafe umgewandelt und die endgültige Maßnahme (Kündigung wegen einfachem Verschulden, Herabstufung, etc.) als unrechtmäßig bewertet angesichts des Grundsatzes der Nichtkumulierung der Sanktionen für das gleiche Verschulden;
- Die Einstufung als vorsätzliches oder grobes Verschulden muss im Falle eines Gerichtsverfahrens durch den Richter bestätigt werden.
- Andernfalls bewirkt die Herabstufung eines vorsätzlichen oder groben Verschuldens durch den Richter nicht, dass die vorsorgliche Unterbrechung in eine disziplinarische Unterbrechung umgewandelt wird, sondern gewährt lediglich einen Anspruch auf die Zahlung des entsprechenden Gehalts.
Hinweis zur Praxis: Wenn der Arbeitgeber auf eine Kündigung verzichtet und schließlich eine disziplinarische Unterbrechung ausspricht, wird die Dauer der vorsorglichen Unterbrechung auf die Dauer der disziplinarischen Unterbrechung der Arbeitsleistung angerechnet. Der Lohnabzug kann in diesem Fall ausschließlich auf die angerechnete Dauer angewandt werden, während der der Arbeitnehmer letztendlich vorsorglich suspendiert war.
Aktuelle Beispiele von Verschulden des Arbeitnehmers, die eine vorsorglichen Unterbrechung rechtfertigen können
Schließlich scheint es noch interessant, die aktuellsten Fälle aufzuzählen, in denen Richter die Einstufung als vorsätzliches Verschulden bestätigt haben, welche den Lohnabzug während der vorsorglichen Unterbrechung der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers rechtfertigt. Folgende Handlungen weisen die Merkmale eines vorsätzlichen Verschuldens auf:
- Morddrohungen gegen den Arbeitgeber mit einer Geste zum Durchschneiden der Kehle (Kassationshof, Urteil vom 4.7.2018);
- Aktive Beteiligung, im Verborgenen, einer Arbeitnehmerin an der Gründung einer Gesellschaft in Konkurrenz mit der ihres Arbeitgebers (Kassationshof, Urteil vom 2.6.2017);
- Nutzung durch einen Arbeitnehmer seiner Stellung als Werksleiter, um sich eine exorbitante Prämie zuzusprechen, die mehr als 6 Monate seines Jahresgehalts beträgt und deren Wirkung auf das Unternehmen und deren regelwidrige Festsetzung ihm bewusst waren (Kassationshof, Urteil vom 2.6.2017).
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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