Auslegung einer missverständlichen Klausel in der Vergleichsvereinbarung

Veröffentlicht am 04.04.16
Streit mit dem Arbeitnehmer und Auslegung des Vergleichs
Streit mit dem Arbeitnehmer und Auslegung des Vergleichs
Streit mit dem Arbeitnehmer und Auslegung des Vergleichs

Fall einer mehrdeutigen Klausel in einer Vergleichsvereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Frankreich

Einigen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Frankreich über die Beilegung ihres Streits, z.B. anlässlich der Kündigung, in einer außergerichtlichen Vergleichsvereinbarung, besteht immer die Gefahr, dass Klauseln unklar oder zweideutig verfasst werden, wenn kein spezialisierter französischer Rechtsanwalt unterstützt. Wie sind gegebenenfalls diese Klauseln zu interpretieren? Diese Frage beantwortet das französische höchste Gericht mit zwei Beispielen.

In seinem Urteil vom 21.1.2016 hat der frz. Kassationshof (Cour de cassation) entschieden, dass die Auslegung einer mehrdeutigen Klausel in einer Vergleichsvereinbarung im freien richterlichen Ermessen der Tatsachenrichter liegt, welche die betreffende Klausel gemäß dem gemeinsamen Willen der Vertragsparteien auszulegen haben.

In der den französischen Gerichten vorgelegten Sache hatte ein Privatkrankenhaus zwei Vergleiche mit zwei Arbeitnehmerinnen unterzeichnet, welche die Zahlung einer umfassenden und pauschalen Abfindung vorsahen. Die erste Vergleichsvereinbarung sah die Zahlung eines Betrags i.H.v. EUR 20.000,00 netto an die Arbeitnehmerin als Entschädigung für Ausgleichsruhezeiten und Erholungsurlaub aufgrund von den von der Arbeitnehmerin seit ihrer Einstellung erbrachten Überstunden einerseits, und als Entschädigung für alle von der Arbeitnehmerin erlittenen Nachteile andererseits, vor.

Der Wortlaut der Vergleichsvereinbarung ermöglichte keine Aufschlüsselung zwischen dem Anteil der gewährten Abfindung, welcher im Rahmen der Entschädigung für Ausgleichsruhezeiten und Erholungsurlaub zugesichert wird und dem Anteil, welcher im Rahmen der Entschädigung für die durch die Arbeitnehmerin erlittenen Nachteile zugesichert wird.

Die zweite Vergleichsvereinbarung folgte auf eine Kündigung, welche erklärt worden war, nachdem die Arbeitnehmerin sich einer Versetzung verweigert hatte. Dieses Verhalten rechtfertigte nach Ansicht des französischen Arbeitgebers eine fristlose Kündigung. Diese Vergleichsvereinbarung sah die Zahlung einer Abfindung i. H. v. EUR 20.008,00 vor, die eine Entschädigung wegen Nichteinhaltung der Kündigungsfrist und eine Entschädigung für nicht genommenen Erholungsurlaub während der Kündigungsfrist umfasste.

In beiden Fällen hatte die frz. Sozialversicherung (URSSAF) die Privatklinik auf Zahlung von Sozialabgaben in Anspruch genommen, wogegen die Privatklinik sich wehrte.

Die Auslegung der Aufschlüsselung der in der Vergleichsvereinbarung gewährten Beträge

Unklare Klausel eines Vergleichs und AuslegungIm ersten Fall waren die Tatsachenrichter der Ansicht, dass kein Raum für eine sozialversicherungspflichtige Zahlung sei: Die der Arbeitnehmerin gewährte Abfindung beinhalte nicht nur die Ausgleichsruhezeiten, sondern sei derart gestaltet, dass sie als Entschädigung für die Unmöglichkeit der Inanspruchnahme der Ausgleichsruhezeiten diene. Mithin bewirke die Abfindung die Wiedergutmachung des Fehlverhaltens des Arbeitgebers unter Konditionen, welche der umfassenden und globalen Summe die Eigenschaft eines Schadensersatzes verleihe.

Im zweiten Fall hatten die Tatsachenrichter der frz. Sozialversicherung recht gegeben, indem sie insbesondere annahmen, dass die ausgezahlten Beträge für die Entschädigung wegen der Nichteinhaltung der Kündigungsfrist der Sozialversicherungspflicht unterlagen. Ihrer Ansicht nach sei das Arbeitsverhältnis nämlich durch die Vergleichsvereinbarung im gegenseitigen Einvernehmen beendet worden und auf die Begründung der fristlosen Kündigung verzichtet worden.

Die frz. Sozialversicherung und das Privatkrankenhaus sind beide in die Revision gegangen. Der frz. Kassationshof hat sie jedoch beide mit ihren Anträgen abgewiesen, indem er die Ansicht vertrat, dass die Auslegung der ausschließlichen Zuständigkeit der Tatsachenrichter unterliege.

Dieses Urteil erinnert an die Wichtigkeit einer sorgfältigen Verfassung jeder einzelnen Klausel unter Berücksichtigung ihrer Rechtsfolgen.

Françoise Berton, französische Rechtsanwältin

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