Wann muss der Gesellschafter über die Kapitalerhöhung zugunsten der Arbeitnehmer abstimmen?
16.01.19

Diese Pflicht zur Abstimmung über eine Kapitalerhöhung besteht in zwei Fällen
In bestimmten Situationen müssen französische Aktiengesellschaften und vereinfachte Aktiengesellschaften (Société par actions simplifiée) nach französischem Gesellschaftsrecht den Aktionären bzw. Gesellschaftern einen Beschluss zur Kapitalerhöhung, die den Arbeitnehmern vorbehalten ist, zur Abstimmung vorlegen. Diese Pflicht wurde 2012 mit dem Ziel, Unternehmen dazu zu „zwingen“, das Kapital für ihre Arbeitnehmer zugänglich zu machen, vom Gesetzgeber eingeführt. Diese Pflicht, die sich aus Artikel L.225-129-6 des frz. Handelsgesetzbuches ergibt, sollte man also stets im Kopf haben, um nicht gegen das Gesetz zu verstoßen.
Diese französische Bestimmung sieht nämlich vor, dass den Gesellschaftern oder Aktieninhabern in den folgenden Fällen zwingend ein Beschluss vorgelegt werden muss:
- wenn die Gesellschafter oder Aktieninhaber über eine Kapitalerhöhung durch Bareinlage abstimmen
- alle drei Jahre im Rahmen einer besonderen außerordentlichen Generalversammlung
Fall der Kapitalerhöhung mit Unterlassung der Abstimmung über die Kapitalerhöhung zugunsten der Arbeitnehmer
In einem Urteil vom 28.11.2018 hat der französische Kassationshof zu dieser Problematik, mit der sich eine Gesellschaft konfrontiert sah, Stellung bezogen. Die außerordentliche Generalversammlung einer Gesellschaft hatte eine Kapitalerhöhung durch Bareinlage beschlossen, ohne gleichzeitig eine den Arbeitnehmern vorbehaltene Kapitalerhöhung anzubieten. Ein Arbeitnehmer der Gesellschafter reichte infolgedessen Klage ein und forderte die Anfechtung des Beschlusses über die Kapitalerhöhung.
In der Tat sieht das Gesetz die Möglichkeit vor, den Beschluss anfechten zu lassen, wenn die Gesellschafter diesbezüglich keinen Beschluss fassen. Allerdings verjährt gemäß Artikel L. 235-9 und Artikel L.225-149-3 Abs. 2 des frz. Handelsgesetzbuches die Anfechtungsklage schon nach einer recht kurzen Frist von drei Monaten nach dem Zeitpunkt der Generalversammlung über die Kapitalerhöhung.
Berichtigung der Kapitalerhöhung durch die Gesellschaft
Aus Artikel L235-3 des frz. Handelsgesetzbuches ergibt sich jedoch, dass „die Nichtigkeitsklage verwirkt ist, falls der Grund zur Anfechtung nicht mehr besteht, wenn das Gericht in der Hauptsache in der ersten Instanz urteilt, es sei denn, es liegt eine Rechtswidrigkeit des Gesellschaftsgegenstands vor“. Das frz. Handelsgesetzbuch sieht somit eine Möglichkeit vor, den Anfechtungsgrund zu berichtigen.
Dementsprechend wurde in dem konkreten Fall eine neue außerordentliche Generalversammlung einberufen, um diesen Punkt zu berichtigen und den Gesellschaftern einen Beschluss vorzulegen, der die Durchführung einer Kapitalerhöhung unter den in den Artikeln L. 3332-18 bis L. 3332-24 des frz. Arbeitsgesetzbuches, also eine den Arbeitnehmern vorbehaltene Kapitalerhöhung durch Bareinlage, zum Ziel hatte. Die Gesellschafter haben diesen Beschluss bei der zweiten außerordentlichen Generalversammlung abgelehnt.
Der Arbeitnehmer forderte anschließend die Anfechtung der zweiten Generalversammlung mit der Begründung, dass der Beschluss mit dem Vorschlag einer den Arbeitnehmern vorbehaltenen Kapitalerhöhung nicht zeitgleich mit dem Beschluss zur Kapitalerhöhung durch Bareinlage vorgelegt wurde.
Das Berufungsgericht war der Auffassung, dass die zweite außerordentliche Generalversammlung die bei der ersten Generalversammlung angenommenen Beschlüsse berichtigte. Der Arbeitnehmer war jedoch der Meinung, dass der Beschluss bezüglich der Arbeitnehmer zeitgleich mit dem Beschluss zur Kapitalerhöhung durch Bareinlage hätte vorgeschlagen werden müssen. Dieser Analyse zufolge erlaubt die zweite außerordentliche Generalversammlung keine Berichtigung der bei der ersten Generalversammlung angenommenen Beschlüsse. Laut Arbeitnehmer müssten also die erste außerordentliche Generalversammlung sowie die zweite annulliert werden.
Keine Panik: Eine Berichtigung ist möglich!
Der frz. Kassationshof bestätigt die Analyse des Berufungsgerichts und entscheidet, die Berichtigung zu erlauben. Somit ist es unerheblich, dass die beiden Beschlüsse nicht am gleichen Tag zur Abstimmung vorgelegt wurden. Der Kassationshof schlägt somit eine Auslegung des Gesetzestextes im Sinne des Gesellschaftsrechts vor, welche bei nicht so schwerwiegenden Fällen eine Anfechtung vermeidet, um auf diese Weise Gesellschafterbeschlüssen mehr Rechtssicherheit zu gewähren. Durch diese Entscheidung kann vermieden werden, dass die rückwirkende Nichtigerklärung einer Kapitalerhöhung verheerende Folgen für die Gesellschaft hat.
Hierzu ist anzumerken, dass sich zurzeit ein Gesetzentwurf in erster Lesung vor der Nationalversammlung befindet, welcher den Artikel L.225-129-6 abändern könnte, so dass die dreijährliche Pflicht, eine den Arbeitnehmern vorbehaltene Kapitalerhöhung vorzuschlagen, gestrichen wird (Artikel 27 des Gesetzesvorschlags zur Vereinfachung, Klärung und Aktualisierung des Handelsgesetzbuches). Es kommt jedoch nicht in Frage, den Absatz des einschlägigen Gesetzesartikels zur den Arbeitnehmern vorbehaltenen Kapitalerhöhung zu ändern, der Anwendung findet, wenn die Generalversammlung über eine Kapitalerhöhung durch Bareinlage abstimmt. Diese Rechtsprechung bestätigt somit die gängige Praxis, indem sie bei der Anwendung eines Textes, dessen Wirksamkeit in der Praxis sehr zweifelhaft ist, mehr Flexibilität erlaubt.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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