Beweis der Kenntnis des Gläubigers der Benachteiligung

27.10.21
Vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung
Beweis der Kenntnis des Gläubigers der Benachteiligung
Vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 6.5.2021 (IX ZR 72/20) die Kriterien für die Feststellung der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz im deutschen Insolvenzrecht konkretisiert. Es liegt eine vorsätzliche Benachteiligung von Gläubigern in einem Insolvenzverfahren vor, wenn ein Schuldner  weiß, dass die Zahlung an einen Gläubiger die anderen Gläubiger benachteiligt. Kenntnis eines Gläubigers vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz liegt wiederum vor, wenn auch der Gläubiger weiß, dass die Zahlung an ihn die anderen Gläubiger benachteiligt.

Dies führt zu einer Neuausrichtung der Rechtsprechung bei Rückzahlungsforderungen des Insolvenzverwalters gegen Gläubiger, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Zahlungen von der insolventen Gesellschaft erhalten haben.

Eine Gesellschaft veröffentlichte in dem den Richtern vorgelegten Fall ihren Jahresabschluss für 2006 erst verspätet im Jahr 2008. Das Bundesamt für Justiz verhängte deshalb ein Ordnungsgeld i. H. v. EUR 2.500. Die Gesellschaft erklärte der Behörde ihre wirtschaftliche Situation. Daraufhin gewährte die Behörde der Gesellschaft eine Zahlung in Raten. Die Gesellschaft leistete das Ordnungsgeld in insgesamt 10 Teilbeträgen fast vollständig. Später wurde über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet.

Insolvenzverwalter prüft, ob bewusste Gläubigerbenachteiligung vorlag

Der Insolvenzverwalter prüfte, ob die insolvente Gesellschaft vor der Insolvenzantragsstellung Zahlungen getätigt hatte, obwohl sie bereits insolvent war und damit andere Gläubiger benachteiligte.

Das Gesetz sieht vor, dass der Insolvenzverwalter Zahlungen von einem Gläubiger zurückverlangen kann, wenn die Gesellschaft mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehandelt hat und der Empfänger diesen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz kannte. Diese Kenntnis des Gläubigers vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz wird vermutet, wenn der Gläubiger wusste:

  • dass Zahlungsunfähigkeit drohte und
  • dass die Zahlung die anderen Gläubiger benachteiligte.

Der Insolvenzverwalter behauptete, die Behörde habe Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehabt, weil sie von der Zahlungsunfähigkeit gewusst hatte. Er forderte Rückzahlung von der Behörde.

Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz

Vor dem Gericht in erster Instanz scheiterte der Insolvenzverwalter jedoch (AG Bonn, Entscheidung vom 17.7.2019 – 115 C 240/18).  Auch vor dem Berufungsgericht blieb seine Rückzahlungsklage erfolglos (LG Bonn, Entscheidung vom 17.3.2020 – 8 S 128/19).

Das Berufungsgericht argumentierte, Kenntnis von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz habe nicht vorgelegen, weil die Behörde nicht verpflichtet gewesen sei, das Unternehmen zu beobachten und Erkundigungen einzuholen. Auch sei der Behörde das Wissen des Bundesanzeigers über die Bilanz nicht zuzurechnen. Außerdem könne daraus, dass die Behörde das Ratenzahlungsverhalten kannte, nicht auf eine Kenntnis der Behörde von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Gesellschaft geschlossen werden. Des Weiteren habe der Insolvenzverwalter nicht bewiesen, dass es sich um eine Zahlungsunfähigkeit und nicht um eine bloße Zahlungsunwilligkeit gehandelt habe. Darüber hinaus habe die Behörde keinen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehabt.

Der Insolvenzverwalter rief schließlich mit der Revision den Bundesgerichtshof an.

Neue Kriterien vom BGH für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz

Der BGH nahm den Fall zum Anlass, eine Neuausrichtung der Rechtsprechung bei der Gesamtbetrachtung der entscheidenden Umstände einzuleiten.

Der BGH bestätigte, dass den Gläubiger keine Pflicht trifft, die Liquidität des Schuldners zu überwachen und dass der Behörde das Wissen des Bundesanzeigers nicht zuzurechnen ist.

Jedoch hielt der BGH die Erwägungen insgesamt für fehlerhaft. Die Entscheidung des Berufungsgerichts wurde aufgehoben und zur neuen Verhandlung zurückgewiesen.

Laut BGH müssen die Gerichte bei der Prüfung von Rückzahlungsansprüchen in Zukunft Folgendes berücksichtigen:

  • Es kommt nicht erforderlich, dass der begünstigte Gläubiger selbst mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handelt.
  • Aus der Kenntnis des Gläubigers von der Zahlungsunfähigkeit folgt nicht automatisch eine Kenntnis des Gläubigers von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Gesellschaft.
  • Auch reicht für die Feststellung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes der Gesellschaft selbst nicht mehr allein die Kenntnis von der eigenen Zahlungsunfähigkeit. Für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Gesellschaft muss die Gesellschaft wissen oder billigend in Kauf nehmen, dass sie auch künftig nicht in der Lage sein wird, alle Gläubiger zu befriedigen, also zahlungsunfähig ist.
  • Von einer erkannten Zahlungseinstellung kann weiterhin auf eine erkannte Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden. Es gilt jedoch der Maßstab, dass die Gesellschaft aus Mangel an liquiden Zahlungsmitteln nicht zahlen kann. Dafür spricht im konkreten Sachverhalt insbesondere eine Erklärung der Gesellschaft, eine Verbindlichkeit nicht binnen 3 Wochen begleichen zu können. Wiederholte Zahlungsverzögerungen reichen für sich genommen nicht.
  • Bei der Vermutung der Fortdauer einer einmal eingetretenen Zahlungseinstellung muss das Ausmaß der Zahlungsunfähigkeit miteinbezogen werden, um die Stärke und Dauer der Vermutung zu bestimmen.
  • Gläubigerbenachteiligungsvorsatz ist gegeben, wenn aufgrund des Ausmaßes der Deckungslücke selbst bei einer optimistischen Einschätzung der Entwicklung eine vollständige Befriedigung aller Gläubiger nicht zu erwarten ist. Entscheidend ist dabei die der Gesellschaft verbleibende Zeit angesichts von Mahn- und/oder Vollstreckungsdruck.
  • Gelingt dem Insolvenzverwalter der Vollbeweis der Kenntnis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes nicht, ist die Vermutungsregel zu prüfen. Das Wissen des Gläubigers um die Benachteiligung der übrigen Gläubiger setzt voraus, dass der Gläubiger weiß, dass es noch andere Gläubiger gibt, deren Forderungen nicht vollständig bedient werden.

Der Teufel steckt also auch bei der Prüfung der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz im Detail. Für den Gläubiger, an den der Insolvenzverwalter einen Erstattungsantrag stellt, ist folglich nichts verloren!

Françoise Berton, französische Rechtsanwältin

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Bild: Андрей Яланский

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