Neues Beispiel der Haftung eines faktischen Geschäftsführers
20.06.18

Neues Gerichtsurteil bezüglich des faktischen Geschäftsführers
Das Pariser Berufungsgericht hatte mit einem Urteil vom 14.03.2018 Gelegenheit, die Merkmale aufzuzählen, die einen faktischen Geschäftsführer (dirigeant de fait) in einer französischen vereinfachten Aktiengesellschaft (frz. Société par Actions Simplifiée, kurz SAS) nach französischem Insolvenzrecht kennzeichnen.
Der Sachverhalt war folgender: Eine natürliche Person hält über eine Holdinggesellschaft eine Gesellschaft im Bereich der Wohnungsbauförderung. Sie wird zu keinem Zeitpunkt offiziell gesetzlicher Vertreter dieser Tochtergesellschaft und überlässt einem Dritten, der kein Gesellschafter ist, die Geschäftsführung. Der Gesellschafter greift jedoch wiederholt in die Entscheidungen der Tochtergesellschaft ein. Selbst wenn er keine juristischen oder verwaltungstechnischen Dokumente unterzeichnet, geht jeder Beschluss von diesem Gesellschafter aus und der gesetzliche Geschäftsführer validiert diese lediglich, indem er die Schriftstücke unterzeichnet.
Das Handelsgericht Paris hat ein Insolvenzverfahren gegen die Holding und ihre Tochtergesellschaft eröffnet und einen Insolvenzverwalter bestellt. Um die Rückzahlung der unbeglichenen Schulden der Gesellschaft zu erwirken, versucht der Insolvenzverwalter, den gesetzlichen Vertreter sowie auch den Gesellschafter als „faktischen Geschäftsführer“ haftbar zu machen.
Definition des faktischen Geschäftsführers
Es ist darauf hinzuweisen, dass der Ausdruck „faktischer Geschäftsführer“ im Insolvenzrecht eine Person bezeichnet, die nicht ein Amt als offizieller, im Handelsregister eingetragener Vertreter ausübt (Präsident, Generaldirektor, Geschäftsführer), die aber dennoch eine tatsächliche Führungsbefugnis in der Gesellschaft ausübt. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung den faktischen Geschäftsführer in einem Urteil der Kammer für Handelssachen des französischen Kassationshofs vom 10.10.1995 definiert als „jemand, der unabhängig und frei eine positive Verwaltungs- und Führungsaktivität ausübt und sich als unbestrittener „Herr und Meister“ aufführt“.
Wenn es dem Insolvenzverwalter gelingt, nachzuweisen, dass eine Person „faktischer Geschäftsführer“ ist und außerdem einen Managementfehler begangen hat, der dazu beigetragen hat, dass die finanzielle Lage sich verschlechterte, so wird diese Person im Insolvenzverfahren zur Haftung herangezogen.
Konkrete Hinweise zur Qualifizierung einer Person als faktischer Geschäftsführer
Das Handelsgericht Paris und anschließend das Berufungsgericht mussten also einerseits über die Eigenschaft des Gesellschafters als faktischer Geschäftsführer und andererseits über die Managementfehler, die zur mangelnden Masse beigetragen haben, urteilen und somit über die Verurteilung dieses Geschäftsführers dazu, einen Teil der Schulden der Gesellschaft persönlich zurückzuzahlen, entscheiden.
Bezüglich der Eigenschaft des Gesellschafters als faktischer Geschäftsführer stützte sich das Berufungsgericht auf eine Reihe von Sachverhalten, welche die weitgehende Vertretungsmacht und Verwaltungskontrolle dieses Gesellschafters belegen. Es ist in der Tat nicht möglich, jemanden als faktischen Geschäftsführer zu qualifizieren, ohne die Umstände, in denen die betroffene Person gehandelt hat, genauestens zu analysieren. Die Richter berücksichtigten im konkreten Fall, dass der Mehrheitsgesellschafter:
- der „Urheber der Immobiliengeschäfte“, also der Haupttätigkeit der Gesellschaft, war und diese von Anfang bis Ende begleitete,
- der Hauptansprechpartner des Finanzamtes bei einer Prüfung der Buchhaltung sowie im Laufe des Insolvenzverfahrens gegenüber Beteiligten im Verfahren war,
- der Hauptempfänger der eingegangen E-Mails der Gesellschaft war, während der gesetzliche Geschäftsführer lediglich in Kopie mitlas,
- die Entscheidung zur Einstellung von zwei Arbeitnehmern traf, selbst wenn der gesetzliche Geschäftsführer die Arbeitsverträge unterzeichnete,
- in Wirklichkeit der Ansprechpartner des Wirtschaftsprüfers der Gesellschaft war und nahe Verwandte von ihm außerdem unmittelbar in der Buchhaltung der Gesellschaft involviert waren.
Die Tatsache, dass der Gesellschafter keine Vergütung erhielt, bedeutet jedoch nicht, dass das Gericht ihn nicht als faktischen Geschäftsführer betrachtet. Das Berufungsgericht stützt sich auch auf die „Passivität“ des gesetzlichen Geschäftsführers, der in Wirklichkeit keine Entscheidungen traf. Außerdem schien seine Vergütung lediglich eine finanzielle Gegenleistung für seine technischen Aufgaben bei der Betreuung von Baustellen, die er in der Gesellschaft übernahm, zu sein.
Laut Berufungsgericht zeichnen die Managementfehler sich durch mehrere finanzielle Elemente (insbesondere fehlende Buchhaltung, absichtliche Minderung der Mehrwertsteuer und fehlende Körperschaftsteuererklärungen) aus, die zusammen genommen zu der Zahlungsunfähigkeit und somit zur Nichtzahlung der Verbindlichkeiten der Gesellschaft bei Abschluss des Insolvenzverfahrens geführt haben.
Der Begriff des faktischen Geschäftsführers passt sich den jeweiligen Gegebenheiten an
Dieses Urteil steht im Einklang mit der bestehenden Rechtsprechung. Es gibt ein konkretes Beispiel dafür, dass die Richter ihre Entscheidung immer in Anbetracht der positiven Handlungen der Person, die durch den Insolvenzverwalter zur Haftung gezogen wird, treffen. Im vorliegenden Fall hat sich der Gesellschafter in einem solchen Ausmaß in die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft eingemischt, dass die Qualifizierung als „faktischer Geschäftsführer“ eindeutig ist. Es gibt jedoch zahlreiche Situationen, die nicht so glasklar sind, insbesondere in Unternehmensgruppen, die es den Verteidigern der beschuldigten Person erlauben könnten, die Grundlage für jegliche Haftung durch den Insolvenzverwalter scheitern zu lassen.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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