Urlaubsabgeltungsanspruch im Insolvenzverfahren

03.05.22
Urlaubsabgeltungsanspruch in der Insolvenz
Urlaubsabgeltungsanspruch im Insolvenzverfahren
Urlaubsabgeltungsanspruch in der Insolvenz

Muss der Arbeitgeber die Insolvenz anmelden, kann sich die Frage stellen, ob ein Urlaubsabgeltungsanspruch wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Insolvenzforderung angemeldet werden muss, oder ob der Arbeitnehmer diesen als Masseforderung geltend machen kann. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte in seinem Urteil vom 25.11.2021 (6 AZR 94/19) über einen Fall zu entscheiden, bei welchem ein Arbeitnehmer unter einem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter weiterbeschäftigt wurde, jedoch noch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausschied.

Weiterarbeiten unter dem vorläufigen Insolvenzverwalter

Ein Montageleiter war seit 2003 in einem Betrieb beschäftigt. Im Jahr 2017 geriet das Unternehmen jedoch in Schwierigkeiten und es wurde die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens geprüft. Der deshalb am 16.8.2017 vom Gericht eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalter war zunächst „schwach“, d.h. er hatte keine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Unternehmens. Ab dem 6.9.2017 war der vorläufige Insolvenzverwalter hingegen „stark“, denn er hatte nunmehr die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis. Der Arbeitnehmer arbeitete zunächst unter dem Insolvenzverwalter weiter und kündigte am 29.9.2017 fristlos. Zu diesem Zeitpunkt hatte er noch 20 nicht genommene Urlaubstage. Am 1.11.2017 wurde schließlich das Insolvenzverfahren eröffnet.

Masseforderung oder bloß Insolvenzforderung?

Grundsätzlich sind im deutschen Insolvenzrecht Ansprüche für die Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Insolvenzforderungen. Die Insolvenzordnung sieht jedoch ausnahmsweise u.a. die folgenden verschiedenen Fälle vor, in welchen auch eine bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Forderung eine Masseforderung darstellt und der Gläubiger somit bevorzugt befriedigt wird:

  • Es liegt ein sog. Neu-Geschäft vor, welches der „starke“ Insolvenzverwalter abgeschlossen hat;
  • Es handelt sich um eine Forderung aus einem Dauerschuldverhältnis, dessen Gegenleistung der „starke“ Insolvenzverwalter in Anspruch genommen hat.

Der Arbeitnehmer verlangte von dem Insolvenzverwalter für seine 20 Urlaubstage eine Urlaubsabgeltung in Geld als Masseforderung mit der Begründung, dass der Insolvenzverwalter seine Arbeitsleistung in Anspruch genommen habe. Der Insolvenzverwalter lehnte eine Zahlung der Urlaubsabgeltung als Masseforderung allerdings ab. Er meinte, die Urlaubsabgeltungsforderung müsse von dem Arbeitnehmer als Insolvenzforderung zur Tabelle angemeldet werden, weil der Urlaubsabgeltungsanspruch nicht auf der Arbeitsleistung beruhe, welche der Insolvenzverwalter in Anspruch genommen habe. Sprich: Der Urlaubsabgeltung steht keine Gegenleistung in Gestalt einer Wertschöpfung für die Masse gegenüber. Anders als beim Lohn, welchem die Arbeitsleistung in einem Gegenseitigkeitsverhältnis (sog. Synallagma) gegenübersteht.

Urlaubsabgeltung mit zwigender Gegenleistung ?

Der Arbeitnehmer zog vor das Arbeitsgericht. Das Arbeitsgericht Potsdam gelangte in seinem Urteil vom 6.3.2018 (3 Ca 1881/17) zu dem Ergebnis, die Urlaubsabgeltung sei keine Masseforderung, weil keine Inanspruchnahme der Arbeitsleistung gegeben sei, denn der Insolvenzverwalter habe keine Entscheidung für oder gegen die Arbeitsleistung getroffen.

Der Arbeitnehmer ging in die Berufung vor das Landesarbeitsgericht (LAG). Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg kam in seiner Entscheidung vom 10.10.2018 (23 Sa 505/18) zu dem Schluss, dass die Urlaubsabgeltung keine Masseforderung sei, weil es an einem Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen der Arbeitsleistung und der Urlaubsabgeltung fehle. Daraufhin rief der Arbeitnehmer das Revisionsgericht an.

Masseverbindlichkeit auch ohne Wertschöpfung für die Masse

Das Bundesarbeitsgericht hat dem Arbeitnehmer im Revisionsverfahren schließlich Recht gegeben. Eine Masseverbindlichkeit liegt grundsätzlich vor, soweit ein „starker“ Insolvenzverwalter die Gegenleistung mit Arbeit in Anspruch genommen hat. Nimmt der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung in Anspruch, muss er alle Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis als Masseverbindlichkeiten erfüllen. Das BAG spricht von einem sog. „Gesamtpaket“. Dazu gehören auch Ansprüche ohne Wertschöpfung für die Masse, wie Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder wie in diesem Fall Erholungsurlaub. Im Sinne dieser Auffassung gibt es also keine Aufspaltung der Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis.

Fazit: Entscheidend für die Bewertung der Urlaubsabgeltung als Masseforderung bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Insolvenzeröffnung sind demnach zwei Voraussetzungen.

  • Der vorläufige Insolvenzverwalter hat die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis
  • und er hat die Arbeitsleistung zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch in Anspruch genommen.

Françoise Berton, französische Rechtsanwältin

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Bild: Benjaminnolte

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