Aufklärungspflicht des Verkäufers und Datenraum für Due Diligence
Veröffentlicht am 24.10.23

Der Verkäufer eines Unternehmens bzw. einer Immobilie muss Im deutschen Kaufrecht seinen Käufer über alle relevanten Daten und Unterlagen aufklären. Er darf sich nicht darauf beschränken, einen Dataroom zur Verfügung zu stellen. Verkäufer dürfen also nicht darauf vertrauen, dass der Käufer für ihn wichtige Fragen und Themen außer Acht lässt. Hier ist ein aussagekräftiges Beispiel mit dem Verkauf einer Immobilie, das sich leicht auf den Unternehmenskauf übertragen lässt.
Fehlende Aufklärung des Verkäufers macht ihn schadenersatzpflichtig
Laut der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 15.9.2023 (V ZR 77/22) kann ein Verkäufer gegenüber dem Käufer wegen einer Verletzung seiner Aufklärungspflicht schadensersatzpflichtig sein, obwohl er vor dem Verkauf Informationen über den Kaufgegenstand in einem Datenraum zur Verfügung gestellt hat.
Eine Käuferin erwarb am 25.3.2019 mehrere Gewerbeeinheiten in einem Gebäudekomplex mit Wohneinheiten zu einem Kaufpreis von 1.525.000 Euro mit der Zusicherung, dass keine außergewöhnlichen Kosten oder Sonderumlagen von der Eigentümerversammlung beschlossen worden seien oder bevorstünden. Der Kaufvertrag verwies darauf, dass die Käuferin Kenntnis von den relevanten Dokumenten hat, nämlich den Protokollen der Eigentümerversammlungen.
Verkäufer stellte vor dem Kauf Informationen bereit
Vor dem Notartermin hatte die Verkäuferin der Käuferin in einem virtuellen Datenraum Zugriff auf diese wichtigen Dokumente gewährt. Aus einer der Beschlüsse der Eigentümerversammlung ging hervor, dass die Eigentümer beschlossen hatten, wegen geplanten Baumaßnahmen die Mehrheitseigentümerin auf Zahlung von 50 Mio. € in Anspruch zu nehmen. Zugleich war abgelehnt worden, eine Sonderumlage in gleicher Höhe von den Eigentümern der Gewerbeeinheiten zu erheben.
Allerdings führte ein späteres Gerichtsverfahren im Januar 2020 zu einem Vergleich, wonach von den Eigentümern der Gewerbeeinheiten eine Sonderumlage von zunächst 750.000 Euro und bei Bedarf bis zu 50 Mio. Euro erhoben werden sollte. Dieses Ereignis wurde der Käuferin verschwiegen, obwohl dies für ihren Erwerb relevant war.
Auf dieser Grundlage wurde nun nach dem Kauf die Käuferin als neue Eigentümerin der Gewerbeeinheiten in Anspruch genommen. Daraufhin erklärte diese mit Schreiben vom 2.3. 2020 die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung, weil die Verkäuferin sie nicht hinreichend über ein konkret drohendes finanzielles Risiko aufgeklärt habe. Die Sonderumlage konnte bis zu 50 Mio. € kosten.
Verantwortung des Käufers oder fehlende Aufklärung durch den Verkäufer
Die Käuferin hatte weder vor dem Landgericht (LG) noch in der Berufung vor dem Oberlandesgericht (OLG) Recht bekommen. Die Käuferin ging in die Revision vor den BGH. Sie bekam im Ergebnis Recht: Die Verkäuferin hätte von sich aus auf die bevorstehenden Risiken mit den Sanierungskosten gesondert hinweisen müssen.
Der BGH hat daran erinnert, dass sich ein Verkäufer bei Verletzung seiner Aufklärungspflicht des Verkäufers in drei Fällen schadensersatzpflichtig machen kann:
- Bei unzutreffenden Erklärungen im notariellen Kaufvertrag, wenn die Information für die Kaufentscheidung von Bedeutung ist und egal ob eine Aufklärungspflicht besteht,
- bei unrichtigen oder unvollständigen Antworten auf Fragen des Käufers, egal ob eine Aufklärungspflicht besteht, sowie
- bei einer unterbliebenen Aufklärung des Käufers über einen offenbarungspflichtigen Umstand, d.h. nur wenn eine Aufklärungspflicht besteht.
Zum Punkt der Aufklärungspflicht hat der BGH ausgeführt, dass zwar grundsätzlich der Käufer sich die für seine Kaufentscheidung notwendigen Informationen eigenverantwortlich selbst beschaffen muss.
Allerdings muss der Verkäufer über Umstände aufklären,
- die den beabsichtigten Zweck des Käufers vereiteln können und daher für seinen Kaufentschluss von wesentlicher Bedeutung sind
- oder ihm erheblichen wirtschaftlichen Schaden zufügen können.
Dies gilt immer dann, wenn der Käufer die Mitteilung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Vertragsanschauung redlicherweise erwarten darf.
Kein automatischer Wegfall der Aufklärungspflicht durch Due Diligence
Diese Aufklärungspflicht kann jedoch entfallen, wenn der Verkäufer berechtigterweise erwarten darf, dass der Käufer bestimmte bereit gestellte Informationen wahrnehmen und in seine Kaufentscheidung einbeziehen wird. Bei einer Due Diligence kann dies eher der Fall sein. Es kommt jedoch stets auf den Einzelfall an. Folgende Kriterien sind entscheidend:
- Führt der Käufer eine Due Diligence durch und in welchem Umfang? D.h. u.a. wie viele Personen mit welcher Qualifikation führen die Prüfung nach Kenntnis des Verkäufers durch? Hat der Käufer nach dem Kenntnisstand des Verkäufers Berater mit Sachkunde in dem Fachbereich hinzugezogen, aus dem die Information stammt?
- Wie ist der Datenraum und der Zugriff hierauf strukturiert und organisiert und welche Vereinbarungen wurden zum Ablauf getroffen? D.h. u.a.: Wurden Informationen zutreffend benannt und systematisch geordnet? Gibt es ein Inhaltsverzeichnis oder eine Suchfunktion? Wird der Käufer auf nachträglich eingestellte Informationen gesondert hingewiesen? Welches Zeitfenster steht dem Käufer für die Überprüfung der Informationen zur Verfügung? Wie geschäftsgewandt ist der Käufer nach Kenntnis des Verkäufers?
- Um welche Art von Information geht es und in welcher Unterlage ist sie enthalten? D.h.: IstUmstand – für den Verkäufer erkennbar – für den Käufer von ganz erheblicher Bedeutung? Kann der Umstand den Vertragszweck vereiteln oder dem Käufer ganz erheblichen wirtschaftlichen Schaden zufügen?
Auch bei einer Due Diligence gilt folglich: Ist der Umstand aus den bereitgestellten Daten nicht ohne Weiteres erkennbar, dem Verkäufer aber bekannt und unschwer zu offenbaren, dann kann der Käufer regelmäßig einen gesonderten Hinweis erwarten. Der Verkäufer darf in diesem Fall nicht sehenden Auges abwarten, ob der Käufer die nur schwer erkennbare Information aus den bereitgestellten Daten ermittelt, sondern muss diese trotz Due Diligence kommunizieren.
Aufklärungspflicht des Verkäufers bei M&A-Transaktion trotz Due Diligence
Die Entscheidung des BGH zum Immobilienkauf ist auf den Unternehmenskauf übertragbar.
Grundsätzlich muss der Käufer Informationen selbst beschaffen. Aufgrund der Komplexität von Unternehmenskäufen können jedoch bedeutende Umstände vom Käufer in der Regel nicht ohne Weiteres erkannt werden, so dass der Verkäufer darauf gesondert hinzuweisen hat. Eine Due Diligence lässt diese Aufklärungspflicht nicht automatisch entfallen, sondern es kommt auf die konkrete der Art der Due Diligence an. Außerdem muss im Streitfall der Verkäufer darlegen und beweisen, dass und wie eine Due Diligence durchgeführt wurde.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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Bild: Vitalii Vodolazskyi