Übergabeverpflichtung beim Verkauf komplexer Produkte im französischen Vertrag
20.03.14

Wann ist die Lieferplicht bei komplexen Produkten nach französischem Vertragsrecht erfüllt?
Diese interessante Frage hat sich die Handelskammer des französischen Kassationshofs (Cour de cassation) in einem Urteil vom 26.11.2013 gestellt. Dabei hat sie den Umfang der Übergabeverpflichtung von komplexen Produkten, wie zum Beispiel Internetseiten, Hard- oder Software, definiert und darauf hingewiesen, dass diese Verpflichtung nur dann hinreichend erfüllt wurde, wenn die Einstellung des verkauften Produkts beim Kunden erfolgt ist.
Abschluss eines französischen Vertrages über die Einrichtung einer Internetseite
Es geht im vorliegenden Fall um französisches E-Commerce.
Ein Reiterhof hat einen Internetdienstleistungsvertrag sowie einen Mietvertrag für Hard- und Software mit einem EDV-Unternehmen abgeschlossen. Der Vertrag hatte die Einrichtung einer Internetseite für den Reiterhof zum Gegenstand. Zwischen den Parteien kam es zum Rechtstreit, als technische Schwierigkeiten mit dem Betrieb der Internetseite auftraten. Nachdem er sich über die nicht vertragsgemäße Leistung durch das EDV-Unternehmen beschwert hat, hat der Reiterhof die Zahlung der Mietgebühren eingestellt und Klage auf Kündigung des Dienstleistungs- und des Mietvertrags erhoben.
Dem Antrag des Reiterhofs wurde dabei in erster Instanz und im Berufungsverfahren stattgegeben. Das französische Berufungsgericht hat in der Tat die Aufhebung des Dienstleistungsvertrags ausgesprochen und das EDV-Unternehmen zu Schadensersatz verurteilt. Das EDV-Unternehmen hat Revision gegen dieses Urteil beim französischen Kassationshof eingelegt mit der Begründung, dass die Abnahme ohne Vorbehalt der Internetseite durch den Reiterhof offensichtliche Vertragswidrigkeiten ausschließe.
Nach Ansicht des französischen Kassationshofs ist die Lieferpflicht des Internetseite erst nach Einstellung beim Kunden erfüllt
Das EDV-Unternehmen kritisierte die Argumentation des Berufungsgerichts, das davon ausgegangen war, dass zum Zeitpunkt der Vorführung einer Internetseite nicht bestimmt werden kann, ob diese vertragsgemäß ist und dass dies erst nach Nutzung der Seite über einen gewissen Zeitraum bestimmt werden kann. Für das EDV-Unternehmen hätte das Berufungsgericht prüfen müssen, ob die Fehler der Internetseite zum Zeitpunkt der Abnahme hätten festgestellt werden können. Das Unternehmen erinnert dabei daran, dass der Reiterhof ein Abnahmeprotokoll unterzeichnet hat, in dem er erklärt hat, dass er die Benutzungsbedingungen der Internetseite bestens kennt weswegen er in der Lage gewesen wäre, die Fehler der Internetseite zum Zeitpunkt der Abnahme zu erkennen.
Der Kassationshof hat die Revision des EDV-Unternehmens abgewiesen. Er hat entschieden, dass die Übergabeverpflichtung des Verkäufers eines komplexen Produkts, wie z.B. eine Internetseite, erst dann hinreichend erfüllt ist, wenn die Einstellung des verkauften Produkts beim Kunden erfolgt ist. Der Kassationshof rechtfertigte seine Entscheidung damit, dass das EDV-Unternehmen nicht auf die Beschwerden seines Kunden reagiert hatte, und zwar trotz der Beanstandungen, die der Reiterhof sowohl vor als auch nach der Unterzeichnung des Abnahmeprotokolls geltend gemacht hat. Der Kassationshof hat daraus geschlossen, dass das EDV-Unternehmen seiner Übergabepflicht nicht nachgekommen war.
In dieser Entscheidung folgt die Handelskammer des französischen Kassationshofs einer Rechtsprechung, die seit einigen Jahren von der Ersten Zivilkammer des Gerichtshofs eingeführt worden ist. Nach dieser Rechtsprechung beschränkt sich die Übergabepflicht des Verkäufers von komplexen Produkten nicht auf die Lieferung des Produkts, sondern umfasst ebenfalls die Einrichtung des Produkts und seine Anpassung an den Bedarf des Käufers. Diese Rechtsprechung findet in der Regel bei Produkte wie Internetseiten, Hard- oder Software Anwendung – komplexe, industrielle Maschinen fallen allerdings auch in ihren Geltungsbereich.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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