Direkter Anspruch des Endkäufers im internationalen Verkaufsrecht und Wiener Übereinkommen
08.04.19

Fragen, die nicht ausdrücklich durch das Wiener Übereinkommen (Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11. April 1980) geregelt sind, werden laut anwendbarem Recht gemäß dem internationalen Privatrecht entschieden.
Am 16.01.2019 hat der französische Kassationshof in einem neuen Urteil zum direkten Anspruch (action directe) eines Endabnehmers gegen seinen mittelbaren Verkäufer Stellung bezogen.
Direkter Anspruch des Endkäufers wegen Sachmängelhaftung?
Im Jahr 2003 beauftragt eine Gesellschaft einen Zimmereibetrieb mit der Durchführung von Arbeiten am Dachgebälk. Für diese Arbeiten bezieht dieser Zimmereibetrieb Abdeckplatten von einem französischen Großhändler. Dieser Großhändler wiederum kauft die bestellten Abdeckplatten bei einem italienischen Hersteller.
Im Jahr 2015 stellt die Gebäudeeigentümerin fest, dass Wasser in das Gebäude eindringt und erhebt Klage auf Auflösung des Kaufvertrags wegen versteckter Mängel gegen die drei anderen Gesellschaften.
Nur der Zimmereibetrieb wird dazu verurteilt, verschiedene Beträge an die Eigentümerin zu zahlen. Nach diesem Urteil der ersten Instanz beschließt der Zimmereibetrieb, Berufungsklage gegen den französischen Großhändler und den italienischen Hersteller zu erheben. Der italienische Hersteller bestreitet die Zulässigkeit der Klage, da er der Meinung ist, dass keine unmittelbare Vertragsbeziehung zwischen ihm und dem Zimmereibetrieb besteht. Laut dem italienischen Hersteller wird ihre Vertragsbeziehung durch das Wiener Übereinkommen vom 11.04.1980 über den internationalen Warenkauf geregelt, welches in der Tat die Anwendung des französischen Kaufrechts ausschließt und eine Durchgriffsklage des Endabnehmers gegen den Hersteller untersagt.
Verteidigen die Richter das französische Kaufrecht gegen die internationalen Regeln?
Der französische Kassationshof stimmt dem italienischen Hersteller nicht zu. Das Gericht ist der Auffassung, dass das Wiener Übereinkommen ausschließlich den Abschluss des Kaufvertrags zwischen Verkäufer und Käufer regelt und dass im vorliegenden Fall das französische Kaufrecht für den Anspruch eines Endabnehmers gegen den Verkäufer anwendbar ist, so dass ein direkter Anspruch des Zimmereibetriebs gegen den italienischen Hersteller besteht.
Der Kassationshof beruft sich dabei auf Artikel 7 des Übereinkommens: „Fragen, die den Regelungsgegenstand dieses Übereinkommens betreffen, aber in diesem Übereinkommen nicht ausdrücklich entschieden werden, sind nach den allgemeinen Grundsätzen, die diesem Übereinkommen zugrunde liegen, oder mangels solcher Grundsätze nach dem anzuwendenden Recht gemäß den Regeln des internationalen Privatrechts zu entscheiden„.
Aus diesem Urteil lassen sich zwei Punkte festhalten:
- Erstens findet das Wiener Übereinkommen auf internationale Warenkaufverträge Anwendung und regelt ausschließlich Rechte und Pflichten, die aus einem solchen Vertrag zwischen Verkäufer und Käufer entstehen. Dieser Grundsatz ist nicht neu, da er in der Rechtsprechung bereits in einem Urteil des Kassationshofs aus dem Jahr 1999 aufgegriffen wird (05.01.1999).
- Zweitens sind die französischen Richter der Meinung, dass wenn die im französischen Kaufrecht existierenden Durchgriffsansprüche für eine Gewährleistung nicht im Übereinkommen erwähnt oder geregelt wird, nichts dagegen spricht, dass die Ansprüche aus dem Verkauf vom Endabnehmer geltend gemacht werden können. Voraussetzung dafür ist, dass das Recht, das den ursprünglichen Vertrag in Bezug auf Fragen, die im Wiener Übereinkommen nicht entschieden werden, regelt, eine solche Klage zulässt. Das Wiener Übereinkommen steht dem direkten Anspruch des Endabnehmers also nicht entgegen und wird folglich durch das nationale Recht ergänzt.
Damit es diese Möglichkeit überhaupt gibt, muss das nationale Recht, das den Vertrag regelt, zulassen, dass diese aus dem Verkauf entstandenen Rechte vom Endabnehmer geltend gemacht werden können. Im vorliegenden Fall findet das französische Kaufrecht Anwendung. Die Voraussetzung ist somit erfüllt. Man kann jedoch berechtigterweise daran zweifeln, dass diese Auffassung, welche die Besonderheiten des französischen Kaufrechts schützt, von den Richtern anderer Länder, die möglicherweise zu dieser gleichen Thematik befragt werden, geteilt wird.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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