Franchise: Verlust einer Chance, zu klagen
06.02.18

Der französische Kassationshof (Kammer für Handelssachen, 08.11.2017, Aktenzeichen 16-19035) hatte vor kurzem die Gelegenheit, seine Rechtsprechung in Sachen „Verlust einer vertraglichen Chance“ (perte de chance contractuelle) genauer zu definieren.
Einstellung eines gerichtlichen Verfahrens
In dieser Entscheidung hat ein französischer Franchisenehmer, die Gesellschaft Bricolor, der ein Geschäft der Marke Mr Bricolage betreibt, erfahren, dass ein Wettbewerber, Brico Leclerc, in der Nähe seines Geschäftes ein eigenes Geschäft eröffnen wird. Er informiert seinen Franchisegeber, die Gesellschaft „Mr Bricolage“, welche dann beschließt, diese Situation zu verhindern und im Namen ihres Franchisenehmers vor Gericht zu gehen, um die Standortgenehmigung durch den nationalen Gewerbeplanungsausschuss (Commission nationale d’aménagement commercial, kurz CNAC) zu bestreiten. Der Franchisegeber bevollmächtigt einen Anwalt, um Klage zu erheben.
Während dem Verfahren entscheidet sich der Franchisegeber, seine Klage zurückzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt macht er sich nicht die Mühe, seinen Franchisenehmer darüber zu informieren.
Der Franchisenehmer geht unverzüglich gerichtlich gegen seinen Franchisegeber vor, denn er ist der Meinung, durch den Klageverzicht einen Schaden erlitten zu haben. Der Franchisenehmer hebt gegenüber dem Gericht insbesondere hervor, dass er jegliche Chance auf Rücknahme der Genehmigung für die Eröffnung des Geschäfts des Wettbewerbers Brico Leclerc verloren habe. Er würde demensprechend in vollem Ausmaß den Wettbewerb durch das andere Geschäft zu spüren bekommen. Der Franchisenehmer fordert vor Gericht Schadensersatz.
Entschädigung für den Verlust einer Chance durch ein Gerichtsverfahren
Der Begriff des Verlustes einer Chance nach französischem Vertragsrecht wird als ein erstattunsgpflichtiger Schaden betrachtet, wenn das Abhandenkommen einer vorteilhaften Möglichkeit festgestellt wird. Der Verlust einer Chance, wenn er mit dieser Definition übereinstimmt, muss vollständig entschädigt werden. Das Gericht muss dementsprechend das Ausmaß der verlorenen Chance bestimmen und kann dem Geschädigten keine pauschale Entschädigung zusprechen: Die Entschädigung muss dem erlittenen Schaden entsprechen.
Wenn der Schaden durch den Verlust einer Chance zur gerichtlichen Interessenwahrung entstanden ist, so muss der Geschädigte nachweisen, dass er über Erfolgsaussichten zur Genugtuung verfügte. Die Entschädigung kann nur abgelehnt werden, wenn nachgewiesen wird, dass auf dem Rechtsweg keinerlei Erfolgsaussichten bestanden.
Gute Erfolgsaussichten des Franchisenehmers, vor Gericht zu gewinnen
Das Berufungsgericht Orléans entscheidet zugunsten des Franchisenehmers, der Gesellschaft Bricolor. Das Gericht entscheidet, dass die Unternehmensgruppe Mr Bricolage einen Fehler beging, indem sie ihren Anwalt zu einer Klagerücknahme anwies, „dass die Gesellschaft Bricolor über eine 50%ige Chance verfügte, die Rücknahme der Entscheidung durch den Departementausschuss zu erreichen“ und dass der Franchisenehmer durch diesen Fehler geschädigt wurde. Das Berufungsgericht hat folglich ein Gutachten angeordnet und der Gesellschaft Bricolor, dem Franchisenehmer, eine Entschädigung zugesprochen, deren Höhe entsprechend der Ergebnisse des Gutachtens neu bewertet wird.
Der Kassationshof bestätigt den Beschluss des Berufungsgerichts Orléans aus folgenden Beweggründen:
- Der Franchisegeber hat einen Fehler begangen, da er eigenmächtig die Rücknahme der Klage beschloss, nachdem er zuvor seinen Anwalt angewiesen hatte, im Namen des Franchisenehmers die Entscheidung des Gewerbeplanungsausschusses zu bestreiten;
- Der Franchisenehmer hat nachweislich einen Verlust einer Chance erlitten. Der Kassationshof ist in der Tat der Meinung, dass der Franchisenehmer eine reelle Chance hatte, die Anfechtung der Genehmigung zu erreichen, angesichts der von ihm im Verfahren vorgebrachten Argumente, welche vom Gericht als einleuchtend angesehen wurden;
- Die Richter schlossen auf einen Kausalzusammenhang zwischen dem Fehler des Franchisegebers und dem vom Franchisenehmer erlittenen Schaden. Das Gericht berücksichtigt vor allem, dass die Eröffnung des konkurrierenden Geschäfts Brico Leclerc, drei Mal so groß wie das des Franchisenehmers, in unmittelbarer Nähe eines großen Supermarktes, der zahlreiche Kunden anzieht und sich in einem bedeutenden Wettbewerbsgebiet befindet, „zwangsläufig negative Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit [des Franchisenehmers]“ haben musste.
Mit Blick auf dieses neue Urteil kann also festgehalten werden, dass der Verlust einer Chance nicht gemutmaßt werden kann, sondern genau nachgewiesen werden muss. Der Kassationshof erinnert in diesem Zusammenhang an die Loyalitätspflicht des Franchisegebers gegenüber seinem Franchisenehmer.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
Alle Urheberrechte vorbehalten
Bild: fascinadora