Keine Verjährung des Urlaubsanspruchs
01.03.23

Mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 20.12.2022 (9 AZR 266/20) wurde eine Grundsatzentscheidung über die Verjährung von Urlaubsansprüchen eines Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber nach deutschem Arbeitsrecht getroffen.
Urlaub über Jahre hinweg nicht vollständig genommen
Die Arbeitnehmerin war in dem dem Gericht vorgelegten Fall vom 1.11.1996 bis zum 31.07.2017 bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte die Arbeitnehmerin für die von ihr zwischen 2013 und 2017 nicht genommenen 101 Tage bezahlten Jahresurlaubs eine finanzielle Urlaubsabgeltung bzw. Ausgleichszahlung für nicht in Anspruch genommene Urlaubstage. Die Arbeitgeberin hatte die Arbeitnehmerin in diesem Zeitraum:
- weder aufgefordert, weiteren Urlaub zu nehmen,
- noch hatte er sie darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfallen würde.
Die Arbeitnehmerin war der Ansicht, die Urlaubsansprüche seien nicht verjährt. Sie argumentierte, die Arbeitgeberin habe nicht dazu beigetragen, dass sie ihren Urlaub für diese Jahre zur gebotenen Zeit habe nehmen können. Sie beantragte daher die Abgeltung von 101 Urlaubstagen aus den Vorjahren.
Der Arbeitgeber war hingegen der Auffassung, die geltend gemachten Urlaubsansprüche seien verjährt. Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren des deutschen Arbeitsrechts beginne mit Ende des Urlaubsjahres. Darüber hinaus habe er Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten nicht kennen und befolgen können, da sich die Rechtsprechung des BAG dahingehend erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geändert habe. Die Arbeitgeberin beantragte daher Klageabweisung.
Streit über die Abgeltung von Urlaubsansprüchen
Das Arbeitsgericht verurteilte den Arbeitgeber zur Abgeltung der drei restlichen Urlaubstage aus dem Jahr 2017. Hinsichtlich der Urlaubsansprüche für die Jahre 2013 bis 2016 wies es die Klage jedoch ab. Die Arbeitnehmerin ging daraufhin in die Berufung vor das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf. Das LAG entschied, dass die Arbeitnehmerin auch für den im Zeitraum von 2013 bis 2016 nicht genommenen Jahresurlaub einen Anspruch auf Abgeltung hat. Schließlich zog der Arbeitgeber vor das Bundesarbeitsgericht (BAG). Mit seiner Revision hat er die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung des Arbeitsgerichts begehrt.
Eine Frage des europäischen Arbeitsrechts
Das BAG setzte das Verfahren zunächst aus und legte dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage vor, ob dem in der EU-Grundrechtecharta verankertem Grundrecht auf bezahlten Jahresurlaub, welches in der sog. Arbeitszeit-Richtlinie (2003/88/EG) konkretisiert wird, die Anwendung der deutschen Verjährungsregel von drei Jahren entgegensteht, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und tatsächliche Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben.).
Der EuGH hebt bei seiner Antwort die besondere Bedeutung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub als Grundsatz des Sozialrechts der Europäischen Union und den Schutz der Gesundheit des Arbeitnehmers hervor. Eine Einschränkung durch Verjährungsvorschriften sei nicht zu rechtfertigen. Zwar dienten die Verjährungsvorschriften der Rechtssicherheit. Dieses Interesse sei aber dann nicht mehr zu berücksichtigen, wenn der Arbeitgeber nur deshalb mit Urlaubsansprüchen konfrontiert wird, weil er selbst versäumt hat, dem Arbeitnehmer den Hinweis zu erteilen, seinen Urlaub rechtzeitig zu nehmen. Es ist Sache des Arbeitgebers, gegen spätere Anträge wegen nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubes dadurch Vorkehrungen zu treffen, dass er seinen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachkommt.
BAG erlegt Arbeitgeber Belehrungsplicht auf
Das BAG setzte diese Vorgaben des EuGH in seinem Urteil um. Die Verjährungsfrist von drei Jahren ab dem Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums gilt für die Abgeltung von Urlaubsansprüchen folglich nur dann, wenn:
- der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Obliegenheitspflichten nachgekommen ist und
- der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch in Kenntnis des Verjährungsrisikos nicht genommen hat.
Der Arbeitgeber hat dabei die Pflicht
- den Arbeitnehmer auf offene Urlaubsansprüche hinzuweisen;
- den Arbeitnehmer aufzufordern, seinen Urlaub zu nehmen;
- dem Arbeitnehmer mitzuteilen, dass sein Urlaub verfällt.
Fermer muss der Arbeitgeber im Prozess darlegen und beweisen, dass er diesen Pflichten nachgekommen ist.
Da im vorliegenden Fall der Arbeitgeber diesen Pflichten gerade nicht nachkam, wurde seine Revision abgewiesen.
Stärkung des Rechts auf Urlaub der Arbeitnehmer
Die Grundsatzentscheidung des BAG stärkt die Position des Arbeitnehmers bei Streit um nicht genommenen Urlaub. Arbeitgeber können sich hierbei nicht mehr automatisch auf die Verjährungsfrist von drei Jahren verlassen. Sie können sich aber selbst einfach Rechtssicherheit verschaffen, indem sie ihren Aufforderungs- und Obliegenheitspflichten nachkommen. Aufgrund der Beweislast des Arbeitgebers ist eine gründliche Dokumentation zu empfehlen, da dies im Einzelfall rechtsstreitentscheidend sein dürfte.
Sollten Sie zum Thema Urlaub Fragen haben oder generell Beratung im deutschen Arbeitsrecht benötigen, so können Sie unsere deutsch-französische Rechtsanwaltskanzlei ansprechen.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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