Europäische Union schreibt genaue Arbeitszeiterfassung vor
01.07.19

Europäische Richter mit einer Frage zur Arbeitszeiterfassung in Spanien befasst
Es ist möglich, dass in naher Zukunft immer mehr Unternehmen auf eine Stechuhr zurückgreifen.
Entsprechend einer bereits sehr arbeitnehmerfreundlichen Rechtsprechung in Bezug auf die Arbeitszeit hat der Gerichtshof der Europäischen Union am 14.05.2019 eine Entscheidung in der Angelegenheit CCOO/Deutsche Bank BAE getroffen, welche die Mitgliedstaaten dazu anhält, Arbeitgeber zur Einführung eines Systems zur täglichen Arbeitszeiterfassung für alle Arbeitnehmer zu verpflichten.
Der Gerichtshof wurde aufgrund einer Streitigkeit zwischen einer Gewerkschaftsorganisation und der Deutschen Bank SAE in Spanien angerufen. Diese Gewerkschaftsorganisation legte der Bank zur Last, kein System zur Aufzeichnung der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer eingeführt zu haben, obwohl dies in den europäischen Texten vorgesehen ist. Das spanische Arbeitsrecht sieht in der Tat keine allgemeine Pflicht zur täglichen Arbeitszeiterfassung vor. Die Unternehmen müssen lediglich ein Überstundenregister führen, das den Arbeitnehmern jeden Monat mitgeteilt wird. Laut einer 2016 durchgeführten Untersuchung, die dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt wurde, werden in Spanien mehr als die Hälfte der geleisteten Überstunden nicht aufgezeichnet.
Der spanische Nationale Gerichtshof hat sich somit mit einem Vorabentscheidungsersuch an den Gerichtshof der Europäischen Union gewandt, um zu wissen, ob die spanische Gesetzgebung, wie sie von der nationalen Rechtsprechung ausgelegt wird, den europäischen Rechtsvorschriften in Bezug auf die Arbeitszeitgestaltung und dem Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeiter entspricht.
Pflicht im europäischen Recht zur zuverlässigen Arbeitszeiterfassung
Die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union erfolgte unter Berücksichtigung der Richtline 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, welche insbesondere vorsieht, dass jeder Arbeiter das Recht auf eine Begrenzung der täglichen und wöchentlichen Höchstarbeitsdauer sowie auf tägliche und wöchentliche Mindestruhezeiten hat.
Für den Gerichtshof der Europäischen Union ist diese Begrenzung nur durch „die Einführung eines objektiven, zuverlässigen und einsehbaren Systems, mit dem die täglich von jedem Arbeiter geleistete Arbeitszeit gemessen wird„, möglich, um die Sicherheit und Gesundheit der Arbeiter zu gewährleisten. Es obliegt also den Mitgliedstaaten, den Arbeitgebern die Einführung eines solchen Systems vorzuschreiben.
Die Mitgliedstaaten können die Form und die konkreten Modalitäten dieses Systems jedoch frei bestimmen, insbesondere unter Berücksichtigung der Besonderheiten der verschiedenen Tätigkeitsbereiche, der Spezifitäten mancher Unternehmen und vor allem der Unternehmensgröße.
Die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union schreibt somit vor, dass die Pflicht zur Transparenz eingeführt wird, welche die Kontrolle und die Einhaltung der inhaltlichen Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes verbessern soll. Der Gerichtshof liefert jedoch keine fertige Lösung, um diese Grundsätze einzuhalten.
Teilweise Übereinstimmung des französischen Rechts mit den europäischen Kriterien
Artikel L. 3171-4 des französischen Arbeitsgesetzbuches sieht Folgendes vor: „Im Fall einer Streitigkeit bezüglich des Bestehens oder der Anzahl von geleisteten Arbeitsstunden, übermittelt der Arbeitgeber dem Richter Elemente, welche die tatsächlich vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeitsstunden belegen. Angesichts dieser Elemente und der vom Arbeitnehmer zur Begründung seiner Klage vorgebrachten Elemente, bildet der Richter sich seine Meinung, nachdem er erforderlichenfalls alle Untersuchungsmaßnahmen angeordnet hat, die er für nützlich hält. Falls die Erfassung der von jedem Arbeitnehmer geleisteten Arbeitsstunden von einem automatischen Erfassungssystem vorgenommen wird, muss dieses System zuverlässig und fälschungssicher sein.“
Dieser Text scheint zwar mit den Anforderungen der Europäischen Union in Einklang zu stehen, aber der französische Kassationshof hat sich für eine Rechtsprechung entschieden, die das genaue Gegenteil dieses Textes besagt, da sie sich häufig auf folgende Auslegung beruft: „Im Fall einer Streitigkeit bezüglich des Bestehens oder der Anzahl von geleisteten Arbeitsstunden muss der Arbeitnehmer seinen Antrag durch Vorlage hinreichend genauer Elemente begründen in Bezug auf die tatsächlich geleisteten Stunden und es dem Arbeitgeber so erlauben, durch Vorlage seiner eigenen Elemente zu antworten.“
Es geht somit eindeutig hervor, dass diese Rechtsprechung zum Nachweis der Kontrolle der Arbeitszeit nicht mit dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union übereinstimmt. In der Tat sollte es von nun an dem Arbeitgeber obliegen, die Arbeitsstunden, zu deren Leistung er seine Mitarbeiter auffordert, zu rechtfertigen.
Anpassungsbedarf des deutschen Arbeitsrechts nach dem Urteil
Im deutschen Recht sieht lediglich Artikel 16 Absatz 2 des Arbeitszeitgesetzes die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung vor. Es handelt sich um die einzige allgemeine Pflicht, die im deutschen Arbeitsrecht vorgesehen ist.
In Artikel 3 Absatz 1 des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) ist vorgesehen, dass der Arbeitgeber die Arbeitszeit der Arbeitnehmer erfassen muss, wenn diese über die tägliche Arbeitszeit von 8 Stunden hinausgeht.
Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union steht also im direkten Widerspruch zum deutschen Arbeitsrecht. Wir werden in nächster Zeit sehen, wie der deutsche Gesetzgeber reagiert.
Sowohl im französischen Recht als auch im deutschen Recht und wahrscheinlich auch im nationalen Recht anderer Mitgliedstaaten könnte die Einführung der tatsächlichen Pflicht zu Arbeitszeiterfassung bedeutende Auswirkungen auf die Gepflogenheiten der Unternehmen haben. Es wird wahrscheinlich zunehmende Streitfälle in Bezug auf die Arbeitszeit geben.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
Alle Urheberrechte vorbehalten
Bild: Bits and Splits