Fahrten vom Wohnort zu Kunden eines Außendienst-Mitarbeiters und Arbeitszeit
Aktualisiert am 10.07.25

Die Fahrtzeit zwischen dem Wohnort des Arbeitnehmers und den Kundenstandorten, was besonders Außendienstmitarbeiter betrifft, sind durch Einfluss des Europarechts auch nach französischem Recht als effektive Arbeitszeit zu betrachten.
In Frankreich haben die Richter zuerst die Fahrtzeit zwischen zwei Kundenterminen als Arbeitszeit betrachtet, und schließlich – unter bestimmten Voraussetzungen – auch die Fahrtzeit vom Wohnort zum Kunden.
Dieser Artikel beleuchtet dieses Thema im Einzelnen, das für Mitarbeiter, die viel unterwegs sind, wie zum Beispiel Vertriebler, eine wichtige Rolle spielt.
Das Wesentliche im Überblick
- Neue Rechtslage in Frankreich: Seit einem Urteil vom 23. November 2022 gilt die Fahrt vom Wohnort zum ersten und letzten Kunden bei Arbeitnehmern ohne feste Arbeitsstätte unter bestimmten Bedingungen als Arbeitszeit – etwa wenn der Mitarbeiter Weisungen befolgt und nicht frei über seine Zeit verfügen kann.
- Anpassung ans EU-Recht: Der EuGH hatte bereits 2015 entschieden: Es gibt keine Zwischenform zwischen Arbeits- und Ruhezeit. Fahrtzeiten zählen auch ohne festen Arbeitsort zur effektiven Arbeitszeit.
- Wichtig für deutsche Arbeitgeber: Für Unternehmen mit Außendienstpersonal in Frankreich heißt das: Kundenfahrten können Überstunden auslösen und sind in vielen Fällen zu vergüten – auch ohne Büro oder Werkstatt. In einem breiflächigen Land wir Frankreich geht es schnell ins Geld!
- Arbeitgeberpflicht: Es muss mit Zeitnachweisen klar dokumentiert werden, wann Mitarbeiter verfügbar sind. Fehler können zu Nachzahlungen oder Bußgeldern wegen unangemeldeter Arbeit führen.
- Auch Fahrten zwischen zwei Kundenterminen zählen: Nicht nur der erste und letzte Termin, sondern auch die Fahrten von einem Kunden zum nächsten gelten als effektive Arbeitszeit und sind entsprechend zu berechnen.
Wenn Sie erfahren möchten, welche Logik die Richter hierbei angewand haben, lesen Sie den Rest des Artikels.
Die Fahrzeit vom Wohnort zum Kunden kann als Arbeitszeit eingestuft werden
In einem wichtigen Urteil vom 23. November 2022 (Nr. 20-21.924) hat sich der frz. Kassationshof nämlich letztendlich der Position des EuGH in Bezug auf die Berücksichtigung der beruflichen Fahrzeit von Außendienst-Mitarbeitern zwischen ihrem Wohnort und den Kundenstandorten als tatsächliche Arbeitszeit angeschlossen. Zu den Außendienst-Mitarbeitern gehören beispielsweise Vertriebsmitarbeiter, die sehr regelmäßig die Kunden ihres Arbeitgebers besuchen.
Der frz. Kassationshof stellt nun fest, dass die Fahrzeit eines Außendienst-Mitarbeiters zwischen seiner Privatwohnung und den Standorten der ersten und letzten Kunden des Tages unter bestimmten Bedingungen als effektive Arbeitszeit angesehen werden kann und somit in die Berechnung der Überstunden einfließt.
Diese Änderung der Rechtsprechung war notwendig, um im Einklang mit dem Europarecht zu sein, das seit mehreren Jahren eine breitere Definition der effektiven Arbeitszeit als das französische Arbeitsrecht hat.
Definition der effektiven Arbeitszeit
Zur Erinnerung: Die effektive Arbeitszeit wird wie folgt definiert. Es handelt sich um die Zeit, in der:
1. der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber zur Verfügung steht;
2. der Arbeitnehmer den Anweisungen des Arbeitgebers Folge leistet;
3. ohne seinen persönlichen Beschäftigungen frei nachgehen zu können (Artikel L. 3121-1 des Arbeitsgesetzbuchs).
Grundsätzlich ist die Fahrzeit zwischen Wohnung und Arbeitsplatz keine tatsächliche Arbeitszeit. Sie wird jedoch in Form von Ruhezeiten oder einer finanziellen Entschädigung ausgeglichen, wenn diese Zeit die normale Fahrzeit zwischen Wohnort und gewöhnlichem Arbeitsplatz überschreitet (Artikel L. 3121-4 Arbeitsgesetzbuch).
Aber was ist mit Außendienst-Mitarbeitern, die per Definition weder einen feste Arbeitsstätte noch übliche Fahrtzeiten zwischen ihrem Wohnort und den verschiedenen Kundenstandorten haben?
Fahrten der Außendienst-Mitarbeiter ohne festen Arbeitsort zwischen Wohnort und Niederlassung der Kunden als Arbeitszeit im Sinne des Europarechts anzusehen?
Im Jahr 2011 hatte ein auf Installation und Wartung von Sicherheitssystemen spezialisiertes Unternehmen entschieden, seine Regionalbüros zu schließen, und wies sämtliche seiner Angestellten dem Zentralbüro in Madrid zu.
Die Arbeitnehmer hatten als Aufgabe die Installation oder Wartung der Sicherheitsvorrichtungen bei verschiedenen Kunden.
Während die Arbeitnehmer sich ursprünglich in die Regional-Büros begeben mussten, um ihr Firmenfahrzeug abzuholen, verfügten sie infolge dieser Neuorganisation über ein Firmenfahrzeug in ihrem Wohnort, sodass sie direkt zum Kunden fahren konnten. Am Vortag ihres Arbeitstages erhielten sie über ihr Mobiltelefon einen Fahrplan mit den verschiedenen Standorten, die sie am nächsten Tag aufzusuchen hatten, samt den Uhrzeiten der Termine mit den Kunden. Die Entfernung zwischen ihrem Wohnort und dem Einsatzort betrug teilweise über 100 Kilometer, und die Fahrt konnte aufgrund des Verkehrs bis zu drei Stunden dauern.
Das spanische Unternehmen betrachtete jedoch diese Fahrzeit zwischen dem Wohnort der Arbeitnehmer und dem Standort des ersten und des letzten Kunden als Ruhezeit und nicht als Arbeitszeit. Dementsprechend wurde die tägliche Arbeitszeit ab dem Zeitpunkt der Ankunft der Arbeitnehmer am Standort des ersten Kunden des Tages bis zum Zeitpunkt der Abreise vom Standort des letzten Kunden berechnet.
Nachdem sich das Unternehmen geweigert hat, die Fahrzeiten zwischen dem Wohnort der Arbeitnehmer und dem Standort des ersten und des letzten Kunden als Arbeitszeit zu berücksichtigen, wurde eine Klage beim spanischen Gericht eingereicht.
Kein Zwischenbegriff im Europarecht zwischen „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ der Arbeitnehmer
Das spanische vorlegende Gericht hat sich auf die europäische Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, welche den Begriff „Arbeitszeit“ definiert, berufen.
Nach dieser Richtlinie stellt die Arbeitszeit „jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt“ dar. Die Ruhezeit wird dagegen definiert als „jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit.“
Folglich hat das spanische Gericht festgestellt, dass die Begriffe der Arbeitszeit und der Ruhezeit in dieser Richtlinie einander gegenübergestellt werden und, dass diese europäische Richtlinie keine dazwischen liegenden Situationen, wie die des spanischen Arbeitnehmers, miteinbeschließt.
Vor diesem Hintergrund hat der spanische Gerichtshof (die Audiencia Nacional) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Union eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Es ging um die Frage, ob unter solchen Umständen die Fahrzeit zwischen Wohnort und Kundenniederlassung eines Arbeitnehmers, der keinem festen Arbeitsort zugewiesen ist, als „Arbeitszeit“ im Sinne der europäischen Richtlinie anzusehen ist.
Fahrzeiten des Arbeitnehmers ohne festen oder gewöhnlichen Arbeitsstätte zwischen dem Wohnort und dem Standort des ersten und des letzten Kunden gelten als Arbeitszeit
In seiner Entscheidung vom 10. September 2015 hat der EuGH bestätigt, dass die Richtlinie 2003/88 keine Zwischenkategorie zwischen den Arbeitszeiten und den Ruhezeiten vorsieht. Er hat daher geprüft, ob die Fahrzeit der spanischen Arbeitnehmer zwischen Wohnort und Kundenniederlassung die Kriterien, die durch den Begriff „Arbeitszeit“ festgelegt wurden, erfüllte.
Nach Ansicht des spanischen Unternehmens bestand die Tätigkeit der Arbeitnehmer in der Installation oder der Wartung der Sicherheitsvorrichtungen bei den Kunden. Während dieser Fahrzeit übten die Arbeitnehmer daher laut dem spanischen Unternehmen ihre Tätigkeit nicht aus. Der EuGH hat jedoch dieses Argument verworfen. Nach seiner Ansicht sprachen mehrere Argumente für eine Arbeitszeit:
- Die Fahrten von Arbeitnehmern zu den von ihrem Arbeitgeber bestimmten Kunden waren das notwendige Mittel, um bei diesen Kunden ihre Aufgaben erfüllen zu können. Somit übten diese Arbeitnehmer während der Fahrzeit zu den Kunden ihre Tätigkeit aus;
- während dieser Fahrten unterlagen die Arbeitnehmer den Anweisungen ihres Arbeitgebers, der die Kundenreihenfolge ändern oder einen Termin streichen oder hinzufügen konnte. Daher haben für den Gerichtshof die Arbeitnehmer während der Fahrzeit nicht die Möglichkeit, frei über ihre Zeit zu verfügen und ihren eigenen Interessen nachzugehen, so dass sie dadurch ihren Arbeitgebern zur Verfügung standen.
Auch die französische Rechtsprechung betrachtet die Fahrtzeit zwischen Wohnort und Kunden als Arbeitszeit
In dieser Sache hatte ein Außendienstmitarbeiter auf einem geographisch sehr großen Gebiet täglich lange Fahrtwege. Er hatte keinen festen Arbeitsplatz und nutzte einen Dienstwagen, der ihm zur Verfügung gestellt wurde, um sich direkt zu den Kunden zu begeben. Während der Fahrt organisierte er seine Termine und führte dienstliche Telefonate (mit Kunden, der Geschäftsführung, Kollegen) über die Freisprechanlage. Dennoch diese Fahrtzeit zum Teil nicht als Arbeitszeit berechnet und folglich auch nicht vergütet.
Daraufhin trug der Arbeitnehmer diese Angelegenheit vor das französische Arbeitsgericht, um seine Überstunden, die diesen Fahrtzeiten entsprechen, geltend zu machen. In zweiter Instanz, an der Cour d’Appel de Rennes sowie in letzter Instanz vor dem französischen Kassationshof haben die Richter entschieden, dass der Arbeitnehmer während der Fahrtzeiten unter Weisungsbefugnis seines Arbeitgebers stand und dessen Anweisungen zu befolgen hatte. Diese Fahrtzeiten waren also als effektive Arbeitszeit zu berechnen und entsprechend zu vergüten, und zwar als Überstundenauszahlung.
Der frz. Kassationshof war aufgrund eines Urteils des europäischen Gerichts im Jahr 2021 gezwungen, der Argumentation des EuGH zu folgen. In seinem Urteil stellte der EuGH nämlich fest, dass die Mitgliedstaaten zwar einen Ermessensspielraum haben, die Begriffe „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ jedoch Begriffe des EU-Rechts mit objektiven Definitionen sind und die Mitgliedstaaten somit gezwungen sind, ihre Rechtsvorschriften anzupassen.
Die Fahrten von Außendienst-Mitarbeitern ist effektive Arbeitszeit
Der frz. Kassationshof ist nun offiziell der Ansicht, dass, wenn die Fahrzeiten, die ein Außendienst-Mitarbeiter zwischen seinem Wohnort und den Standorten des ersten und letzten Kunden zurücklegt, der Definition von effektiver Arbeitszeit gemäß Artikel L. 3121-1 des Arbeitsgesetzbuches entsprechen, diese Zeiten nicht in den Anwendungsbereich von Artikel L. 3121-4 desselben Gesetzes fallen.
Im Streitfall muss der Richter nun prüfen, ob der Arbeitnehmer während der Fahrzeit dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und sich an dessen Anweisungen hält, ohne seinen persönlichen Beschäftigungen nachgehen zu können (Definition der effektiven Arbeitszeit). Wenn dies der Fall ist, müssen diese Stunden bei der Berechnung der tatsächlichen Arbeitszeit berücksichtigt werden, was sich natürlich insbesondere auf die Berechnung von Überstunden auswirkt. Umgekehrt, wenn der Arbeitsweg nicht den Bedingungen der effektiven Arbeitszeit entspricht, hat der Arbeitnehmer, der einen Arbeitsweg zurücklegt, der die normale Fahrzeit zwischen Wohnung und Arbeitsplatz überschreitet, Anspruch auf die in Artikel L. 3121-4 des Arbeitsgesetzbuchs vorgesehene finanzielle Gegenleistung oder in Form von Ruhezeiten, aber keinen Anspruch auf eventuelle Überstunden.
Die Fahrtzeit zwischen zwei aufeinanderfolgenden Kundenterminen auch Arbeitszeit
Außer der Fahrten zwischen dem Wohnort und dem ersten oder letzten Termin, bestätigt der französische Kassationshof seit 2014 das die Fahrt von einem zum nächsten Termin am selben Tage als effektive Arbeitszeit berechnet werden müssen. Diese Auslegung betrifft vor allem Außenmitarbeiter wie Reinigungskräfte oder Techniker, die täglich bei mehreren Kunden sind. Die Richter unterstreichen, dass die Arbeitnehmer während der Fahrtzeit, der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers unterliegt, ihren persönlichen Beschäftigungen nicht nachgehen können und die Zeit dementsprechend zu vergüten ist. Durch diese konstante Rechtsprechung wird deutlich, wie wichtig es ist, dass der Arbeitgeber die verschieden Fahrtzeiten seiner Mitarbeiter der richtigen Kategorie zuweist, damit keine Zweifel zu unangemeldeter Arbeit bestehen.
FAQ – Arbeitszeit & Fahrtzeit in Frankreich: Was deutsche Arbeitgeber wissen müssen
Zählt die Fahrtzeit vom Wohnort zum Kunden in Frankreich als Arbeitszeit?
Ja, für Mitarbeiter ohne feste Arbeitsstätte kann der Weg zum ersten und vom letzten Kunden als Arbeitszeit gelten, wenn der Arbeitnehmer verfügbar ist und Weisungen befolgt.
Zählt die Fahrt von einem zum nächsten Kundentermin als Arbeitszeit?
Ja. In Frankreich gilt die Fahrt zwischen zwei Kundenterminen immer als Arbeitszeit, da der Mitarbeiter dabei im Auftrag des Arbeitgebers handelt.
Gilt der normale Weg zur Arbeit (Wohnort–Büro) auch als Arbeitszeit?
Nein. Nur bei Mitarbeitern ohne feste Arbeitsstätte kann der Weg zum Kunden als Arbeitszeit eingestuft werden. Der normale Weg zum Büro wird nicht vergüte. Bei außergewöhnlich langen Fahrtzeiten kann eine Entschädigung angeboten werden.
Was müssen deutsche Arbeitgeber in Frankreich beachten?
Sie müssen die Verfügbarkeit und Fahrzeiten ihrer Mitarbeiter richtig einstufen, Regelungen im Arbeitsvertrag prüfen und Überstunden dokumentieren. Fehler können zu Nachzahlungen oder Strafmaßnahmen führen.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
Alle Urheberrechte vorbehalten
Bilder: alexberenguer