Straßburg spielt eine wichtige Rolle im Europarecht!
10.04.11

Letzte Aktualisierung am 20.04.2015
Die Beteiligung an der Schaffung des Europarechts hat in Straßburg eine lange Tradition. Die Stadt im Herzen Europas, deren Stadtgeschichte in besonderem Maße von den Kriegen auf dem Kontinent geprägt wurde, ist heute ein Symbol für Versöhnung und Frieden. In diesem Sinne wurde mit dem Europarat bereits im Jahr 1949 eine der ersten europäischen Organisationen in Straßburg gegründet.
Der Europarat hat seinen Sitz in Straßburg
Dem Europarat, der weder mit dem Europäischen Rat noch mit dem Rat der Europaïschen Union in Brüssel verwechselt werden sollte, gehören 47 Mitgliedstaaten an.
Er umfasst also fast alle Staaten des geografischen Europas. Darunter befinden sich sowohl die EU-Mitgliedstaaten als auch Staaten, die nicht in der EU sind, wie beispielsweise Russland, die Türkei, die Schweiz oder Norwegen. Der Europatrat befindet sich aus diesem Grunde im Herzen des Konfliktes zwischen Russland un der Ukraine.
Der Europarat hat seinen Sitz in der Avenue de l’Europe (übersetzt: Europaweg), direkt neben dem großen Park „L’Orangerie“, nördlich von der Stadtmitte von Straßburg.
Der Europarat ist in die Parlamentarische Versammlung und das Ministerkomitee gegliedert. Während die Parlamentarische Versammlung, deren Präsidentin seit Januar 2014 die Luxemburgerin Anne Brasseur ist, die nationalen Parlamente vertritt, ist das Ministerkomitee das Entscheidungsorgan und setzt sich aus den Außenministern eines jeden Mitgliedstaates oder dessen ständigen diplomatischen Vertretern in Straßburg zusammen. Straßburg beherbergt deswegen auch die ständigen Vertretungen aller Mitgliedstaaten des Europarats. Dies trägt ebenfalls zur internationalen Atmosphäre in Straßburg bei. Die allermeisten dieser Vertretungen befinden sich in dem gleichen Stadtviertel wie der Europarat.
Der Generalsekretär des Europarats, dessen Funktion die Vertretung des Europarats nach außen ist, ist derzeit der norwegische Staatsbürger Thorbjørn Jagland. Er wurde im Jahr 2009 durch die Parlamentarische Versammlung für eine Amtszeit von 5 Jahren gewählt. Im Jahr 2014 wurde er wiedergewählt. Zuvor hatte Thorbjørn Jagland zahlreiche Ämter inne, darunter das des Ministerpräsidenten und des Außenministers in Norwegen.
Ziel des Europarats ist die Zusammenarbeit zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts und die Entwicklung demokratischer Grundprinzipien. Letztere sind wesentliche Bestandteile des Europarechts im weiteren Sinne. In diesem Zusammenhang stellt die Europäische Menschenrechtskonvention vom 4.11.1950 (abgekürzt „EMRK“) einen der Grundsteine der Gründung des Europarechts dar. Sie verbietet unter anderem die Todesstrafe und garantiert zahlreiche Menschenrechte, wie zum Beispiel das Recht auf ein faires Verfahren, die Meinungsfreiheit und die Religions- und Gewissensfreiheit.
Der Europarat fasst regelmäßig unverbindliche Beschlüsse gegenüber Staaten, die gegen eine Bestimmung der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen. Leistet der betreffende Staat der Empfehlung rechtzeitig Folge, wird der der Verstoß nicht Gegenstand eines Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. So forderte der Europarat beispielsweise am 4.3.2015 Frankreich dazu auf, körperliche Züchtigungen ausdrücklich zu verbieten/ unter Strafe zu stellen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (abgekürzt „EGMR“) hat ebenfalls seinen Sitz in Straßburg. Auch er befindet sich in dem Stadtviertel der internationalen Institutionen, und zwar in der Allée des Droits de l’Homme (übersetzt: Menschenrechte-Allee) am Ufer des Flusses Ill. Die Architektur des Gerichtsgebäudes spiegelt seinen Zweck wider: die Architekten Lord Richard Rogers aus London und Claude Bucher aus Straßburg haben das Gerichtsgebäude des EGMR als Waage entworfen, welche bildhaft für Gleichgewicht und Maß als Symbol der Gerechtigkeit steht.
Die Aufgabe des EGMR ist es, in Einzelfällen darüber zu urteilen, ob eine Verletzung der Menschenrechte im Hinblick auf die EMRK vom 4.11.1950 gegeben ist.
Im Gegensatz zu Urteilen des Gerichtshofs der EU (EuGH) mit Sitz in Luxemburg, welcher supranational ist und über die Auslegung und Anwendung des Europarechts im engeren Sinne als Recht der EU entscheidet, können die Urteile des EGMR als Gerichtshof des internationalen Rechts nicht zwangsvollstreckt werden. Jedoch erkennen die Mitgliedstaaten ihre Rechtsverbindlichkeit an, so dass die Urteile in aller Regel Reformen in den betreffenden Ländern anstoßen. Die Rechtsprechung wirkt sich auf das deutsche Recht aus, denn bei der Anwendung und Auslegung der EMRK haben deutsche Richter die Rechtsprechung der Straßburger Richter zu beachten. Die Beachtung der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR sind Bestandteil der im deutschen Grundgesetz festgesetzten Bindung der Richter an Gesetz und Recht aus Art. 20 III GG.
Individualklagen gegen Mitgliedstaaten werden unter anderem durch Rechtsanwälte eingereicht, sobald eine ernsthafte Verletzung eines Grund- und Menschenrechts der EMRK in Betracht kommt und der innerstaatliche Rechtsweg ausgeschöpft ist. Eingereichte Klagen werden zunächst auf ihre Zulässigkeit hin geprüft, wobei die wenigsten Klagen für zulässig erklärt werden. Ein Rechtsmittel gegen die Nichtzulassungsentscheidung des EGMR in Straßburg, im Sinne einer Nichtzulassungsbeschwerde, gibt es nicht.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Wirtschaftsrecht
Der Rückgriff auf die EMRK kann im Wirtschaftsrecht sehr nützlich sein, aufgrund ihres weiten Anwendungsbereichs. Die durch die EMRK garantierten Menschenrechte gewährleisten nicht nur natürlichen Personen Rechte, sondern gewährleisten auch Vereinigungen und Anstalten Schutz, und zwar unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit.
So hat der EGMR z.B. auch juristischen Personen das Recht auf Schutz des Wohnsitzes zugestanden. Betreffend der gewerblichen Schutzrechte wurde außerdem das Recht auf Schutz des Eigentums von der Rechtsprechung des EGMR so ausgelegt, dass insbesondere das Gesellschaftsvermögen, gewerbliche Marken und Patentrechte vom Schutzbereich umfasst werden. Des Weiteren wurde der Schutzbereich der Meinungsfreiheit auf Werbung ausgeweitet. In einem Verfahren gegen Deutschland im Jahre 1989 haben die straßburger Richter geurteilt, dass auch durch gewerbliche Werbung verbreitete Informationen schützenswert sind.
In einem vor dem EGMR gegen Frankreich im Jahre 2006 eingeleiteten Verfahren hat eine Gesellschaft eine Verletzung ihres Rechts auf ein faires Verfahren geltend gemacht. Die Gesellschaft war zuvor Klägerin in einem Verfahren gegen den französischen Wirtschafts- und Finanzminister vor dem französischen Staatsrat (Conseil d’Etat- vergleichbar mit dem dt. Bundesverwaltungsgericht). Anschließend bemängelte das EGMR Unabhängigkeit des Hohen Gerichts gegenüber der Regierung. Tatsächlich war nämlich eines der Mitglieder der Abteilung Verwaltungsrechtsprechung im französischen Staatsrat einen Monat später zum Generalsekretär des Wirtschafts- und Finanzministeriums berufen worden.
In einem letzten Beispielsachverhalt aus dem Jahr 1993 hat der EGMR die Verletzung des Rechts des Einzelnen, sich nicht selbst strafrechtlich belasten zu müssen, durch Frankreich festgestellt. In dem vorliegenden Fall hatte Frankreich die strafrechtliche Verurteilung einer Person damit begründet, dass die betreffende Person bestimmte Dokumente nicht übermitteln wollte, von deren Existenz der Zoll, ohne Sicherheit darüber zu haben, ausging.
Das Europäische Parlament zwischen Straßburg und Brüssel
Straßburg spielt innerhalb der Europäischen Union eine wichtige Rolle, weil das Europäische Parlament dort seinen offiziellen Sitz hat.
Jedes Jahr finden in den Räumlichkeiten des Europäischen Parlaments in der Allée du Printemps (übersetzt: Frühlingsallee) in Straßburg zwölf jeweils viertägige Plenarsitzungen statt. Die Örtlichkeiten sind zu diesen Zeiten sehr belebt und viele verschiedene europäische Nationalitäten treffen dort aufeinander. Die 751 Abgeordneten des Europäischen Parlaments vertreten 500 Millionen Bürger der 28 Mitgliedstaaten der EU.
Das Europäische Parlament ist die einzige multinationale parlamentarische Versammlung, die direkt durch die Bürger gewählt wird. Das Europäische Parlament wählt seinerseits seinen Präsidenten. Derzeit ist der Präsident des Europäischen Parlaments der deutsche Politiker Martin Schulz, der bereits seit 20 Jahren dem Europäischen Parlament angehört und von 2004 bis 2012 der Fraktionschef der Progressiven Allianz der Sozialisten & Demokraten im Europäischen Parlament (S&D) war.
Grundsätzlich dauert eine Amtszeit 2,5 Jahre und entspricht damit der Hälfte der Amtszeit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Martin Schulz, dessen erste Mandatszeit von 2012 bis 2014 war, ist der erste Präsident in der Geschichte des Europäischen Parlaments, der für eine zweite Amtsperiode wiedergewählt wurde.
Gemeinsam mit dem Rat der EU übt das Europäische Parlament die gesetzgeberische Gewalt der EU aus. Seine Hauptaufgabe ist also die Verhandlung und die Verabschiedung von Rechtsnormen der Europäischen Union sowie die Festsetzung des Budgets im Zusammenspiel mit dem Rat der EU.
Selbstverständlich finden, wie allgemein bekannt ist, auch in Brüssel Sitzungen des Europäischen Parlaments statt. Es handelt sich um zusätzliche Sitzungen. Es gibt seit langer Zeit eine kontroverse Diskussion über die Frage, ob der doppelte Sitz des Europäischen Parlaments in Straßburg und in Brüssel beibehalten werden soll oder nicht. Aber bis heute ist noch keine Entscheidung gefallen. Straßburg spielt weiterhin eine wichtige Rolle bei der europäischen Entscheidungsfindung und die Stadt kommt in den Genuss der wirtschaftlichen Nebeneffekte und der mit der Anwesenheit der europäischen Abgeordneten verbundenen Ausstrahlungswirkung.
Eine Rechtsanwaltskanzlei im Europarecht in Straßburg
Unsere Rechtsanwaltskanzlei Berton & Associés mit Sitz in Straßburg befindet sich also an der Quelle des Europarechts, welches wir täglich anwenden. Dabei kann es sich um im Einzelfall unmittelbar anwendbare Bestimmungen des Primärrechts (die Verträge EUV und AEUV) handeln oder um Rechtsnormen des Sekundärrechts wie unmittelbar anwendbare EU-Verordnungen der Europäischen Union oder auch EU-Richtlinien, deren Anwendbarkeit grundsätzlich einer Umsetzung in das nationale Recht unterliegt. Gegebenenfalls kommen als einschlägige Bestimmungen auch internationale Abkommen oder Beschlüsse der EU in Betracht.
Im Recht der deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen spielt das Europarecht eine sehr wichtige Rolle. Wenn der Anwalt in der Lage ist eine Rechtsnorm europarechtskonform auszulegen, kann dies für den Mandanten einen immensen Vorteil darstellen: eine Verletzung der Grundsätze des Europarechts wird gegebenenfalls schneller festgestellt und zur Verteidigung des Mandanten angeführt.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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