Die Sorgfaltspflicht von Unternehmen
Veröffentlicht am 24.03.23

Das französische Gesetz über die Sorgfaltspflicht von Muttergesellschaften und auftraggebenden Unternehmen vom 27.03.2017 ist ein bedeutender Fortschritt in der Vorbeugung schwerwiegender Verletzungen bezüglich Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Gesundheit und Sicherheit von Personen sowie der Umwelt, durch große Unternehmen. Dieses Gesetz rückt durch die derzeitige Aufforderung mehrerer NGOs des Abziehens von Total Energies aus Russland in den Vordergrund. Das Unternehmen Total Energies wurde des Weiteren im Zusammenhang mit seinem Projekt zur Entwicklung einer Aufbereitungsanlage in Uganda verklagt. In diesem Zusammenhang waren mehrere Verbände der Ansicht , dass der Plan des Unternehmens für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht nicht im Einklang mit dem Gesetz stand. Das Gericht in Paris wies diese Klagen jedoch mit zwei Urteilen vom 28. Februar 2023 zurück.
Trotz dieses ersten Misserfolges der Verbände nehmen die Rechtsstreitigkeiten in diesem Bereich jedes Jahr zu. So wurden beispielsweise auch Klagen gegen Casino oder den Kosmetikkonzern Yves Rocher wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht eingereicht. Im Rückblick auf fast sechs Jahre seit Verabschiedung des Gesetzes können nun endlich die Besonderheiten und Auswirkungen der Sorgfaltspflicht für betroffene Unternehmen näher erläutert werden.
Inhaltsverzeichnis
Der Ursprung des Gesetzes zur Sorgfaltspflicht
Am 24.04.2013 ist es zum tragischen Einsturz des Gebäudes Rana Plaza in einem Vorort von Dhaka in Bangladesch gekommen. In diesem Gebäude befanden sich Textilfirmen von Subunternehmern und Lieferanten großer europäischer Marken. Bei diesem tragischen Ereignis sind mehr als 1.100 Menschen ums Leben gekommen. Es hat einen weltweiten Protest sowie ein Bewusstwerden über die gefährlichen und gravierenden Arbeitsbedingungen in den Textilproduktionsketten, die von den multinationalen Fast-Fashion-Konzernen genutzt werden, ausgelöst.
Als Reaktion darauf und auf Grundlage eines Gesetzesvorschlages, der auf Initiative von Organisationen wie Amnesty International gemacht wurde, entschied Frankreich, ein Gesetz zu erlassen. Dieses Gesetz betraf die Vorbeugung von Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Gesundheit und Sicherheit von Personen sowie der Umwelt durch in Frankreich etablierte multinationale Konzerne. Dieses Gesetz ist wegbereitend: Frankreich ist weltweit der erste Staat, der einen Gesetzestext verfasst, der die Sanktionierung der obengenannten Verletzungen auf der Grundlage der zivilrechtlichen Haftung der französischen Muttergesellschaften und auftraggebenden Unternehmen ermöglicht.
Welche Unternehmen unterliegen der Sorgfaltspflicht?
Das Gesetz über die Sorgfaltspflicht setzt zwei Anwendungsbedingungen voraus. Erfüllt diese ein Unternehmen, so unterliegt es den im Gesetz enthaltenen Pflichten. Dementsprechend verpflichtet das Gesetz jedes französische Unternehmen, welches zum Abschluss zweier aufeinanderfolgender Geschäftsjahre:
- mindestens 5.000 Arbeitnehmer am Gesellschaftssitz und in ihren direkten oder indirekten Tochtergesellschaften, beschäftigt, und deren Sitz sich in Frankreich befindet, ODER
- mindestens 10.000 Arbeitnehmer am Gesellschaftssitz und in ihren direkten oder indirekten Filialen, beschäftigt, und deren Sitz sich auf französischem Boden oder im Ausland befindet.
Da diese Schwellen relativ hoch sind, ist das Gesetz auch zahlreiche Unternehmen nicht anwendbar. Die Anzahl der Unternehmen, die diesem Gesetz unterliegen, wird in Frankreich auf ungefähr 150 geschätzt. Mehrere Vereine haben diese engen Anwendungsvoraussetzungen kritisiert, sie vertreten die Meinung, dass vielmehr eine konkrete Bilanz oder Umsatzzahlen den Anwendungsbereich bestimmen sollten.
Diese Kritik ist jedoch zu mildern, da nach Ansicht von Branchenexperten (und insbesondere von Anwälten für Wirtschaftsrecht) viele Unternehmen proaktiv mit der Sorgfaltspflicht umgehen. So beschließen viele Unternehmen, aus eigenem Antrieb einen Sorgfaltsplan zu verabschieden, auch wenn sie nicht unter das Gesetz fallen.
Verpflichtung zur Erstellung eines Plans für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht
Trotz seiner Wichtigkeit ist das Gesetz zur Sorgfaltspflicht der Muttergesellschaften und auftraggebenden Unternehmen kurz und enthält insgesamt nur vier Artikel. Die Hauptverpflichtung, die den betroffenen Unternehmen auferlegt wird, ist in Artikel 1 enthalten, der in Artikel L. 225-102-4 des frz. Handelsgesetzbuches aufgenommen wurde. Gemäß diesem Artikel muss jedes betroffene Unternehmen einen Plan für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht aufstellen und diesen wirksam umsetzen.
Dieser Plan für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht „enthält die vernünftigen Sorgfaltsmaßnahmen, die zur Identifizierung der Risiken und zur Vorbeugung gegen schwerwiegende Verletzungen bezüglich der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Gesundheit und Sicherheit von Personen sowie der Umwelt, die sich aus der Tätigkeit der Gesellschaft und der Tätigkeiten der von ihr […] direkt der indirekt kontrollierten Gesellschaften sowie aus den Tätigkeiten der Subunternehmer und Lieferanten ergeben, mit denen eine Geschäftsbeziehung besteht, wenn diese Tätigkeiten an ihre Geschäftsbeziehung gebunden sind, geeignet sind.“ Darüber hinaus muss der Plan gemeinsam mit den „Akteuren“ der Gesellschaft erarbeitet werden, das heißt, dass insbesondere die Beteiligung von Gewerkschaften vorgesehen ist.
Der Plan für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht muss fünf Maßnahmen enthalten, die in Artikel L.225-102-4 des frz. Handelsgesetzbuches aufgelistet sind:
- eine Risikokartographie;
- ein Verfahren zur regelmäßigen Bewertung der Situation der Tochtergesellschaften, der Subunternehmer oder Lieferanten, mit denen eine bestehende Handelsbeziehung unterhalten wird;
- angemessene Maßnahmen zur Begrenzung der Risiken oder zur Vorbeugung gegen schwerwiegende Verletzungen;
- einen Mechanismus zur Vorwarnung und Berichterstattung bezüglich des Bestehens oder der Verwirklichung von Risiken, erarbeitet in Absprache mit den repräsentativen Gewerkschaftern eines Unternehmens;
- ein Mittel zur Nachverfolgung der umgesetzten Maßnahmen und zur Bewertung ihrer Wirksamkeit.
Der Artikel weist schließlich darauf hin, dass der Plan für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht sowie der Bericht über seine wirksame Umsetzung, veröffentlicht und in den Geschäftsführungsbericht der Gesellschaft eingebunden werden muss (er muss für alle im Internet zugänglich sein).
Die Tragweite des Gesetzes zur Sorgfaltspflicht
Einer der bemerkenswerten Punkte bezüglich des Gesetzes zur Sorgfaltspflicht ist sein besonders breiter Anwendungsbereich. Der Plan für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht deckt tatsächlich sowohl:
- die Tätigkeiten der Muttergesellschaft oder der auftraggebenden Unternehmen als solche;
- die Tätigkeiten ihrer Tochtergesellschaften oder Gesellschaften, die sie direkt oder indirekt kontrolliert;
- als auch die Tätigkeiten der Subunternehmer und Lieferanten, mit denen eine Geschäftsbeziehung besteht, wenn diese Tätigkeiten an ihre Geschäftsbeziehung gebunden sind.
Fazit: Dieses Gesetz wird auf die gesamte Produktionskette angewendet und nicht nur auf das erste Glied, welches meistens die Muttergesellschaft selbst oder das auftraggebende Unternehmen darstellt. Folglich müssen nicht nur die Gesellschaften, auf die das Gesetz zur Sorgfaltspflicht angewendet wird ein internes Audit durchführen, sondern auch alle ihre Geschäftspartner (in Frankreich und im Ausland). Es sollein Plan zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht erarbeitet werden der alle Akteure umfasst.
Mit anderen Worten: Eine Muttergesellschaft oder ein auftraggebendes Unternehmen wird Garant(in) – und somit haftbar im Falle eines Verstoßes – ihrer Tochtergesellschaften, Lieferanten oder Subunternehmer!
Schließlich ist der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes sehr weit gefasst, da es sich auf die Vorbeugung schwerwiegender Verletzungen von folgenden Rechtsgütern bezieht:
- Menschenrechte und Grundfreiheiten;
- Gesundheit und Sicherheit der Personen;
- die Umwelt;
… kurz: ein hochgestecktes Ziel!
Die praktische Umsetzung des Gesetzes zur Sorgfaltspflicht
Wie so oft bei Gesetzen mit weit gefassten und ambitionierten Anwendungsbereichen ist die Umsetzung in der Praxis nicht einfach. Auch das Gesetz zur Sorgfaltspflicht von Muttergesellschaften und auftraggebenden Unternehmen bildet hier keine Ausnahme.
Bereits die Definition des Plans für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht(siehe oben: Verpflichtung zur Erstellung eines Plans für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht) zeigt Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung auf, da die fünf genannten Maßnahmen, die dieser enthalten muss, vage und ungenau formuliert sind. Durch die Verpflichtung zur Erstellung eines Plans für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht bieten diese Maßnahmen den betroffenen Unternehmen einen erheblichen Ermessensspielraum, was von einem Unternehmen zum Anderen zu uneinheitlichen und sich im Inhalt deutlich unterscheidenden Plänen führt.
In einem von mehreren Organisationen (u. a. Les Amis de la Terre, Amnesty International, Sherpa usw.) verfassten Bericht von 2019, zeigten diese auf, dass „bei weitem ungenügende Pläne“ erstellt wurden. Dies konnte im Rahmen einer Untersuchung in 80 Unternehmen eruiert werden. Laut diesen Organisationen „werden die Ziele dieses Gesetzes nur teilweise berücksichtigt […], jedes Unternehmen hat das Gesetz mit einem unterschiedlichen Anforderungsniveau umgesetzt; die meisten Pläne waren noch deutlich auf die Risiken für die Unternehmen zentriert, und nicht auf die Risiken für Dritte oder die Umwelt.“
Bisher kann auf keine Rechtsprechung zurückgegriffen werden, welche den Inhalt des Rechts in Bezug auf den neuen Artikel L.225-102-4 des frz. Handelsgesetzbuches ausgelegt hat. Eine gerichtliche Auslegung des Gesetzes mit einem Leitfaden für die konkrete Aufstellung der Pläne, könnte gerade die praktische Umsetzung des Gesetzes erleichtern. Zwar hat das frz. Verfassungsgericht ein Urteil zum Gesetz zur Sorgfaltspflicht erlassen, jedoch hat dieses nicht zur Klarheit verholfen. Das Verfassungsgericht hat entschieden, dass nicht nur Risiken bezüglich schwerwiegender Verletzungen der Rechtsgüter in den Plan für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht integriert werden müssen., sondern pauschal „alle“ Risiken. Diese Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs des Gesetzes macht die Umsetzung nicht einfacher!
Es kann dennoch festgestellt werden, dass sich für einen Teil der juristischen Literatur und beim Lesen der parlamentarischen Arbeiten einige Maßnahmen (Risikokartographie, Bewertungsverfahren, Mechanismus zur Vorwarnung) in dem Plan für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht an denen in Artikel 17 des sogenannten Sapin-II-Gesetzes zum Kampf gegen Korruption und gegen die Verletzung der Redlichkeitspflicht inspirieren könnten. Die geeigneten Maßnahmen zur Risikobegrenzung oder zur Vorbeugung gegen schwerwiegende Verletzungen könnten unter anderem durch die UN-Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte abgeleitet werden.
Wenn man den Fachleuten in diesem Bereich, insbesondere den Compliance-Beratern, glauben darf, ist die Bilanz jedoch nicht so negativ oder unklar. Tatsächlich hätten die großen Unternehmen, die von der Sorgfaltspflicht betroffen sind, nicht auf das Gesetz von 2017 gewartet, um sich mit dem Thema zu befassen. Im Gegenteil seien sie sich dessen seit langem bewusst und seien sogar treibende Kraft in diesem Bereich. Beispielsweise gab es bereits interne Richtlinien zur Bewertung Dritter, lange bevor der Gesetzgeber tätig wurde. Die Gesundheitskrise im Zusammenhang mit Covid-19 hätte das Bewusstsein der Unternehmen verstärkt und sie zu noch mehr Prävention und Einhaltung der Vorschriften in Bezug auf Gesundheitsrisiken, Gesundheit am Arbeitsplatz oder psychische Risiken für die Arbeitnehmer veranlasst.
Erste Niederlage der Verbände vor Gericht
Wie eingangs erwähnt endete eine der ersten gerichtlichen Klagen im Zusammenhang mit der Sorgfaltspflicht für die klagenden Vereine mit einer Niederlage. Die Klage richtete sich gegen das Unternehmen Total Energies im Zusammenhang mit dem Bau einer Aufbereitungsanlage und einer Transportleitung für Kohlenwasserstoffe in Uganda. Mehrere Verbände und Vereine, darunter Les amis de la terre France und Survie, warfen Total Energies verschiedene Versäumnisse in Bezug auf seinen Plan für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht vor. Nach einer Mahnung im September 2019 und nicht zufrieden mit der Antwort des Unternehmens, hatten die Verbände Ende Oktober 2019 Total Energies auf Haftung wegen Versäumnis verklagt.
Unglücklicherweise für sie, aber auch für die Akteure in diesem Bereich, bringen die Entscheidungen, die in diesem Fall vom Pariser Gericht am 28. Februar 2023 verkündet wurden, keine oder nur wenig Klarheit über die praktische Umsetzung der Sorgfaltspflicht. In der Tat wurden die Klagen aus hauptsächlich verfahrensrechtlichen Gründen – dem Fehlen der Wiederholung der erforderlichen Mahnungen durch die Verbände – für unzulässig erklärt.
Dennoch scheuen sich die Richter des Pariser Gerichtshofs in jeder der 24 Seiten langen Entscheidungen nicht, das Gesetz vom 27. März 2017 zu kritisieren, da es ihrer Meinung nach sehr lückenhaft ist. Insbesondere wird das Fehlen eines Leitprinzips oder einer Typologie der betroffenen Rechte angeprangert. Ebenso bedauern die Richter, dass das Gesetz äußerst ehrgeizige Ziele verfolgt, ohne auch nur ansatzweise die Mittel zu nennen, mit denen diese Ziele erreicht werden können. Es sei darauf hingewiesen, dass 6 Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes noch immer kein Anwendungs-Erlass zur Klarstellung des Gesetzes verabschiedet wurde.
Es bleibt nun zu hoffen, dass der Gesetzgeber die Vorwürfe des Pariser Gerichtshofs hört und sich zum Handeln entschließt. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Umsetzung des Gesetzes nicht vorangetrieben wird.
Die im Falle einer Verletzung der Sorgfaltspflicht vorgesehenen Sanktionen: Stellen diese eine wirksame Abschreckung dar?
Die Sanktionen für Verstöße gegen die Verpflichtungen, die sich aus dem Gesetz zur Sorgfaltspflicht ergeben, unterscheiden sich je nachdem, ob ein Schaden aufgetreten ist oder nicht. In jedem Fall ist das Landgericht von Paris für die Entscheidung zuständig.
In Ermangelung eines Schadens
Liegt kein Schaden vor, bestimmt das Gesetz, dass eine Gesellschaft abgemahnt werden kann, wenn sie die Verpflichtungen in Verbindung mit der Aufstellung und der Veröffentlichung eines Plans für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht nicht beachtet hat. Nach Ablauf einer Frist von drei Monaten nach der Mahnung kann das zuständige Gericht das betroffene Unternehmen dazu verpflichten, die versäumte Aufstellung und Veröffentlichung des Plans nachzuholen. Hierbei ist Prozessvoraussetzung, dass ein Antrag gestellt wurde, von einer Person, die ein Handlungsinteresse nachweisen kann. Die ausgesprochene gerichtliche Verpflichtung kann ebenfalls unter Androhung eines Zwangsgeldes erfolgen. Der gerichtliche Beschluss kann auch im Eilverfahren durch den Vorsitzenden des Gerichts, ergehen.
Das Gesetz präzisiert nicht, welche Personen eine Mahnung versenden können. Diese fehlende Präzisierung bewirkt, dass Gewerkschaften, Organisationen zur Verteidigung der Menschenrechte, der Gesundheit oder der Umwelt, oder auch ein Arbeitnehmer der betroffenen Gesellschaft an diese eine Mahnung versenden könnte. Sie könnte sodann die Klage auf der Grundlage des Fehlens oder der Nichtumsetzung des Plans für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht weiter verfolgen. In diesem Zusammenhang haben die NGOs kürzlich eine Mahnung an das Unternehmen Total Energies versendet.
Im Schadensfall
Liegt ein Schaden vor, so bestimmt Artikel L.225-102-5 des frz. Handelsgesetzbuches die Haftung des Schadensverursachers. Dieser Artikel geht ebenfalls aus dem Gesetz zur Sorgfaltspflicht hervor. Der Verstoß gegen die in Artikel L.225-102-4 (=Verpflichtung zur Erstellung und wirksamen Umsetzung eines Plans zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht) vorgesehen Verpflichtungen, machen den Verursacher haftbar und verpflichten ihn zur Reparatur des Schadens. Die Vermeidung des Schadens hätte der Verursacher schließlich durchdie Erfüllung dieser Verpflichtungen vermeiden können. Das Gericht kann ein Unternehmen dahingehend verurteilen, einen fehlenden Plan zu veröffentlichen, zu verbreiten oder auszuhängen. Es kann auch die Vollstreckung seiner Entscheidung unter Androhung eines Zwangsgeldes anordnen.
Damit erfolgt die Haftung der Muttergesellschaft oder des auftraggebenden Unternehmens auf zivilrechtlicher Grundlage des allgemeinen Rechts. Entsprechend den allgemeinen Gewährleistungsregeln muss eine Pflichtverletzung, ein Schaden und die Kausalität zwischen der Pflichtverletzungund dem Schaden vorliegen. Mit anderen Worten: Es muss bewiesen werden, dass das Fehlen des Plans zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht oder die fehlende wirksame Umsetzung des Plans den aufgetreten Schaden begründet.
Beispiel: Eine Muttergesellschaft arbeitet mit einer ihrer Tochtergesellschaften am anderen Ende der Welt zusammen. Erstere hat ihre Tochtergesellschaft in ihrem Plan für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht nicht berücksichtigt und sich daher nicht um eine Belastung der Arbeitnehmer durch Asbest gekümmert. Mehrere Arbeitnehmer dieser Unterauftragnehmerin entwickeln daraufhin Pathologien, die mit ihrer Belastung durch Asbest zusammenhängen. Hätte die Muttergesellschaft ihre Tochtergesellschaft in ihrem Plan für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht bewertet, hätte sie dieses Risiko identifizieren und vorgebeugen können, so hätte der gesundheitliche Schaden für die Arbeitnehmer verhindert werden können. Da sie dies jedoch unterlassen hat, macht sich die Muttergesellschaft haftbar.
Wenn die Muttergesellschaft hingegen die Gesamtheit ihrer Sorgfaltspflichten bezüglich dieser Tochtergesellschaft beachtet hätte und dennoch ein Schaden entstanden wäre, wäre es um einiges schwieriger, die Muttergesellschaft haftbar zu machen. Die wirksame Umsetzung und Erarbeitung eines Plans für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht stellt schließlich eine Handlungspflicht und keine Erfolgspflicht dar. Die Muttergesellschaft muss alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Schaden zu vermeiden. Das bedeutet, dass der bloße Eintritt eines Schadensfalles nicht ausreicht, um ihre Haftbarkeit zu begründen.
Fazit: Obwohl eine Muttergesellschaft oder ein auftraggebendes Unternehmen nur einer Handlungs- und keiner Erfolgspflicht unterliegt, zeigt sich hier dennoch die Weite der ihr obliegenden Haftung. Das Gesetz zur Sorgfaltspflicht schafft eine echte Haftungsverbindung zwischen den verschiedenen Etappen der Produktionskette, indem es eine Muttergesellschaft oder ein auftraggebendes Unternehmen verpflichtet, alle Risiken zu identifizieren – nicht nur bei ihren Tochtergesellschaften, sondern auch bei ihren Subunternehmern oder Lieferanten, mit denen eine Geschäftsbeziehung besteht. Insofern besteht ein umfassender Handlungsauftrag für die vom Gesetz zur Sorgfaltspflicht erfassten Unternehmen, da sie verpflichtet sind Risiken zu antizipieren: Auf der einfachen Grundlage ein Risiko nicht identifiziert zu haben, kann eine Verurteilung des Unternehmens zum Schadensersatz begründen.
Schließlich ist zu bedenken, dass die abschreckendsten Sanktionen manchmal direkt intern innerhalb einer Unternehmensgruppe verhängt werden können. Beispielsweise kann eine Muttergesellschaft durchaus Sanktionen gegen ihre Tochtergesellschaften, Subunternehmer oder Lieferanten vorsehen, wenn diese gegen den aufgestellten Sorgfaltsplan verstoßen. In diesem Fall kann sich die wirtschaftliche Bedeutung für diese Akteure letztlich als abschreckender erweisen als die rechtlichen Aspekte.
Tendenz zu einer europäischen Regelung?
Als Zeichen dafür, dass eine internationale Bewegung zugunsten der Sorgfaltspflicht entstanden ist, hat das Europäische Parlament im März 2021 einen Beschluss erlassen, der die Europäische Kommission aufforderte einen Gesetzesvorschlag vorzubereiten . Der Beschluss des Europäischen Parlaments basierte auf einem Bericht seines Rechtsauschusses, der bereits Grundzüge eines zukünftigen Gesetzesentwurfs darstellen könnte.
Infolge dieses Beschlusses hat die Europäische Kommission am 23.02.2022 einen Richtlinienvorschlag zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeit erlassen, der ein nachhaltiges und verantwortungsvolles Verhalten in allen globalen Produktionsketten fördern soll. Dieser Richtlinienvorschlag möchte somit – dem Beispiel der französischen Gesetzgebung folgend – gegen die negativen Auswirkungen vorgehen, die von Tätigkeiten betroffener Unternehmen bezüglich Menschenrechte und Umwelt herrühren.
Laut dem Vorschlag der Kommission sollte sich die Richtlinie (wenn sie angenommen wird) auf die folgenden Unternehmen beziehen:
- alle Gesellschaften mit beschränkter Haftung innerhalb der EU, die von erheblicher Größe und Wirtschaftskraft sind ( d.h. mit mindestens 500 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mindestens 150 Mio. EUR weltweit);
- andere Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die in bestimmten ressourcenintensiven Branchen tätig sind und die nicht beide Schwellenwerte der Gruppe 1 erfüllen (aber mehr als 250 Beschäftigte und einen Nettoumsatz von mindestens 40 Mio. EUR weltweit haben);
- Unternehmen von Drittstaaten, die einen Umsatz in Höhe der Werte des ersten oder zweiten Spiegelstriches erreichen und innerhalb der EU erwirtschaften.
Der Richtlinienentwurf wird von den betroffenen Akteuren (Unternehmen, Compliance-Berater…etc.) eher positiv gesehen. Neben der Anerkennung des französischen Einflusses auf dem Gebiet der Sorgfaltspflicht sehen sie es als sehr positiv an, dass die Standards für den Schutz der einen und der anderen Seite immer höher werden. Angesichts der Kritik an den Definitionen im französischen Gesetz wäre eine größere Genauigkeit wünschenswert.
Es bleibt abzuwarten, ob diese Richtlinie angenommen wird oder nicht.
Fragen und Antworten
Was ist die Sorgfaltspflicht?
Die französische Sorgfaltspflicht der Unternehmen soll gegen schwerwiegende Verletzungen vorbeugen, die in Bezug auf die Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Gesundheit und Sicherheit von Personen sowie der Umwelt durch große Unternehmen verursacht werden können. Das Gesetz zur Sorgfaltspflicht ermöglicht gegen Unternehmen vorzugehen, die ihre Sorgfaltspflicht verletzt haben– sowohl im Schadensfall (zivilrechtliche Haftung) als auch ohne Schadensfall, um diese zur Umsetzung des Plans für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht zu verpflichten.
Welche Maßnahmen enthält das Gesetz zur Sorgfaltspflicht?
Die Hauptverpflichtung besteht in der Erstellung und wirksamen Umsetzung eines Planes für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht. Um die Erfüllung dieser Verpflichtung durchzusetzen, sieht das Gesetz insbesondere vor, dass Unternehmen bei Nichtbeachtung dieser Verpflichtung haftbar gemacht werden und auf Schadensersatz, verklagt werden können. Unter der Bedingung, dass bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Verpflichtung der Erstellung des Plans für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht, wäre der Schaden nicht eingetreten.
Was ist ein Plan für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht?
Ein Plan für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht ist ein Dokument, das von den betroffenen Gesellschaften erstellt und veröffentlicht wird und die folgenden fünf Maßnahmen enthält:
1) eine Risikokartographie;
2) ein Verfahren zur regelmäßigen Bewertung der Situation der Tochtergesellschaften, der Subunternehmen oder Lieferanten, mit denen eine bestehende Handelsbeziehung unterhalten wird;
3) angemessene Maßnahmen zur Begrenzung der Risiken oder zur Vorbeugung gegen schwerwiegende Verletzungen;
4) einen Mechanismus zur Vorwarnung und Berichterstattung bezüglich des Bestehens oder der Verwirklichung von Risiken, erarbeitet in Absprache mit den repräsentativen Gewerkschaften des betroffenen Unternehmens;
5) ein Mittel zur Überprüfung der umgesetzten Maßnahmen und zur Bewertung ihrer Wirksamkeit.
Welchen Zweck hat der Plan für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht und welche Gesellschaften sind betroffen?
Der Plan für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht muss vernünftige Sorgfaltsmaßnahmen enthalten, die zur Identifizierung der Risiken und zur Vorbeugung gegen schwerwiegende Verletzungen bezüglich Menschenrechten und Grundfreiheiten, der Gesundheit und Sicherheit von Personen sowie der Umwelt durch die Tätigkeiten des Unternehmens und der von ihm kontrollierten Gesellschaften geeignet sind. Diese Maßnahmen sind weit gefasst, da sie nicht nur direkt oder indirekt kontrollierte Tochterunternehmen umfassen, sondern auch die Subunternehmen oder Lieferanten, mit denen eine Geschäftsbeziehung besteht. Solange diese Geschäftsbeziehung mit Tätigkeiten des Unternehmens verbunden ist.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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