Der Arbeitnehmer handelt ohne Vollmacht: Geht das?
03.04.18

Der Grundsatz: Die Handlungsvollmacht ist notwendig
Prinzipiell verfügen ausschließlich die gesetzlichen Vertreter einer französischen Gesellschaft über die Befugnis, letztere gegenüber Dritten für alle Handlungen im Namen der Gesellschaft, die dem Gesellschaftsgegenstand entsprechen, verbindlich zu verpflichten. Eine Ausnahme ist eine Person mit Handlungsvollmacht, welche die Gesellschaft gegenüber Dritten, allerdings nur für bestimmte Vertragshandlungen, verpflichten kann.
In der Praxis stellt sich immer wieder die Frage, ob ein Arbeitnehmer in einer Führungsposition seine französische Gesellschaft vertraglich verpflichten kann und unter welchen Bedingungen. Der französische Kassationshof hat sich in einem Urteil vom 17.01.2018 mit dieser Frage befasst.
Bestreitung der Gültigkeit der Kündigung eines Maklervertrages
Im den Richtern vorgetragenen Streitfall hatte eine Versicherungsgesellschaft einen Versicherungsmakler damit beauftragt, unterschiedliche Lebensversicherungsprodukte zu vertreiben. Die Versicherungsgesellschaft, eine Aktiengesellschaft, hat schließlich die Verträge, welche die beiden Gesellschaften verbanden, gekündigt. Die Maklergesellschaft hat die Gültigkeit dieser von einem Arbeitnehmer durchgeführten Kündigung vor Gericht bestritten und die Nichtigerklärung der Kündigungen sowie die Zahlung von Schadenersatz verlangt.
Die Befugnis, die Gesellschaft zu verpflichten, ist im Prinzip den gesetzlichen Vertretern vorbehalten
Vor dem Berufungsgericht bringt die Maklergesellschaft Argumente in Bezug auf die Vollmachten der gesetzlichen Vertreter der Aktiengesellschaft. Laut Berufungsgericht können in einer Aktiengesellschaft ausschließlich die folgenden gesetzlichen Vertreter einen Vertrag im Namen der Gesellschaft kündigen:
- der Generaldirektor (directeur général)
- die bevollmächtigten Generaldirektoren (directeurs généraux délégués)
- gegebenenfalls Personen mit einer Handlungsvollmacht für die Kündigung dieser Verträge
Zur Erinnerung: Im französischen Gesellschaftsrecht sind in einer GmbH die Geschäftsführer die gesetzlichen Vertreter. In einer vereinfachten Aktiengesellschaft sind die Generaldirektoren, ebenso wie der Präsident, befugt, die Gesellschaft gegenüber Dritten gültig zu verpflichten.
Fehlende Handlungsvollmacht für die Arbeitnehmerin
In diesem Fall war die Arbeitnehmerin, welche die streitgegenständlichen Maklerverträge gekündigt hatte „Leiterin der Vermögensanlagen„. Sie war also keine gesetzliche Vertreterin. Da sie aber als Bevollmächtige eventuell hätte handeln können, hat die Klägerin dem Berufungsgericht zu Recht vorgeworfen, nicht überprüft zu haben, ob diese Arbeitnehmerin eine Handlungsvollmacht zur Kündigung dieser Verträge hatte.
Gültigkeit der Kündigung durch stillschweigende Genehmigung im Nachhinein durch die Gesellschaft
Der Kassationshof weist diese Argumentation ab. Für das hohe Gericht hatte die Versicherungsgesellschaft in ihrem Schriftsatz für die Berufung zugegeben, die Entscheidung zur Kündigung der streitgegenständlichen Maklervereinbarungen stillschweigend genehmigt zu haben. So wurden die Entscheidungen, welche die Arbeitnehmerin im Namen der Versicherungsgesellschaft getroffen hatte, im Nachhinein bestätigt. In Anbetracht dieser stillschweigenden Genehmigung ist der Kassationshof der Meinung, dass das Berufungsgericht nicht verpflichtet war zu überprüfen, ob die Arbeitnehmerin, die „Leiterin der Vermögensanlagen“, eine Vollmacht zur Kündigung der Verträge hatte oder nicht. Diese Genehmigung ergab sich aus der freiwilligen Beendigung der Ausführung des Vertrages.
Ohne diese Genehmigung wäre die Kündigung durch die Arbeitnehmerin jedoch nicht gültig gewesen, da diese nicht über die Handlungsvollmacht verfügte, die unentbehrlich ist, wenn die im Namen der Gesellschaft handelnde Person kein gesetzlicher Vertreter ist.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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