Wird die Selbstständigkeit von Fahrradkurieren in Frage gestellt?

06.02.19
Kurier per App
Wird die Selbstständigkeit von Fahrradkurieren in Frage gestellt?
Kurier per App

Gerichtsurteil zur Rechtsbeziehung zwischen dem Kurier und der Vermittlungsplattform

Immer mehr Kunden lassen sich nach Hause beliefern. Auch im Gastronomiegewerbe hält dieser Wandel Einzug. Auf den Straßen sieht man immer mehr Fahrradkuriere, die zunächst in einem Restaurant eine Bestellung aufgeben, um anschließend direkt den Kunden zu beliefern. Der französische Kassationshof hat sich vor Kurzem zum ersten Mal zu den vertraglichen Beziehungen, die zwischen den Fahrradkurieren und der Vermittlungsplattform bestehen, geäußert. Es handelt sich in der Tat um Arbeitnehmer. Allerdings bezieht sich diese Entscheidung auf einen konkreten Fall und wird in Zukunft nur Anwendung finden, wenn die Richter der Auffassung sind, dass tatsächlich ein Unterordnungsverhältnis gegeben ist.

Wenn eine digitale Plattform zum Arbeitgeber der von ihr engagierten Kuriere wird

In diesem Urteil vom 28.11.2018 nutzte die Gesellschaft „Take eat easy“ eine App, um den Kontakt zwischen Gastronomiepartnern und Kunden herzustellen. Mit dieser App konnten Essensbestellungen über eine digitale Plattform aufgegeben werden. Die Fahrradkuriere waren bisher als Selbstständige tätig.

Ein Fahrradkurier dieser Gesellschaft hatte das französische Arbeitsgericht angerufen, um die Umqualifizierung seiner Vertragsbeziehung in einen Arbeitsvertrag französischen Rechts zu fordern. Das Arbeitsgericht und anschließend das Berufungsgericht hatten sich für nicht zuständig erklärt, um in dieser Sache zu entscheiden, und brachten damit zum Ausdruck, dass die Beziehung zwischen dem Kurier und der Plattform kommerzieller Art war. Zwischenzeitig wurde die Insolvenz der Gesellschaft „Take eat easy“ angeordnet und der Insolvenzverwalter hatte sich geweigert, die Forderungen des Kuriers zur Zahlung der durchgeführten Lieferungen im Forderungsregister anzumelden, und zwar mit der Begründung, dass es sich nicht um vorberechtigte Löhne, sondern um nichtberechtigte Forderungen handle.

Der Senat für Arbeitsrecht des französischen Kassationshofs befasste sich vor diesem Hintergrund mit der Frage, ob ein Arbeitsvertrag, der den Kurier mit der digitalen Plattform verbindet und insbesondere durch ein Unterordnungsverhältnis ausgezeichnet wird, besteht.

Umqualifizierung eines Dienstleistungsvertrages in ein Arbeitsverhältnis

Unabhängig von der Bezeichnung des Vertrages, welche die Parteien zweckdienlich gewählt haben, betrachtet die Rechtsprechung seit 20 Jahren das Bestehen eines Unterordnungsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als ausschlaggebendes Kriterium, um ein Arbeitsverhältnis anzuerkennen. Dieses Kriterium geht auf ein Urteil zurück, das in dieser Hinsicht richtungsweisend ist. In diesem Urteil definiert das oberste Gericht den Arbeitnehmer als „jegliche Person, die eine Arbeit unter der Weisungsbefugnis eines Arbeitgebers, der Befehle und Weisungen geben, deren Umsetzung überprüfen und etwaige Verstöße des Untergebenen sanktionieren kann, ausübt“ (Urteil vom 13.11.1996). Von dieser Definition ausgehend haben die Richter seitdem bestimmte neue Tätigkeiten oder Tätigkeiten, für die der Gesetzgeber keine Regelung vorgesehen hatte, in ein Arbeitnehmerverhältnis umgedeutet.

Der Gesetzgeber hat zwar mit dem Gesetz Nr. 2016-1088 vom 08.08.2016 die gesellschaftspolitische Verantwortung der digitalen Plattformen umrissen, indem er Mindestgarantien zum Schutz dieser neuen Arbeitnehmerkategorie vorsah, jedoch hat er sich nicht zu deren Rechtsstatus geäußert und keine Vermutung zum Nichtbestehen eines Arbeitnehmerverhältnisses erlassen.

Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht zunächst den Antrag auf Umqualifizierung des Vertrages abgewiesen mit der Begründung, dass der Fahrradkurier nicht durch eine Ausschließlichkeit oder ein Wettbewerbsverbot an die digitale Plattform gebunden war und dass er jede Woche die Zeiträume, während denen er arbeiten wollte, frei wählen konnte oder auch keinen Zeitraum wählen konnte, wenn er nicht arbeiten wollte.

Diese Begründung wird jedoch vom frz. Kassationshof bemängelt. Laut diesem Gericht wird das Unterordnungsverhältnis zwischen „Take eat easy“ und dem Fahrradkurier durch zwei Kriterien ausgezeichnet:

  • die App verfügt über ein System zur Geolokalisierung, wodurch die Position des Kuriers in Echtzeit verfolgt und die die Summe der zurückgelegten Kilometer berechnet werden können. Das Gericht folgert daraus, dass sich die Rolle der Plattform nicht auf eine einfache Vermittlung zwischen Restaurant, Kunde und Kurier beschränkte;
  • die Gesellschaft konnte den Kurier bestrafen. Verspätungen bei den Lieferungen führten zu einem Bonusverlust und konnten sogar nach mehreren Verspätungen eine Deaktivierung des Kontos des Fahrradkuriers bewirken.

Der Kassationshof erinnert somit daran, dass eine Vertragsbeziehung weder von dem durch die Parteien ausgedrückten Willen noch von der von ihnen gewählten Bezeichnung für die Vertragsbeziehungen abhängt, sondern von den tatsächlichen Bedingungen, unter denen die Tätigkeit ausgeübt wird.

Dieses Urteil wird dem Großteil der digitalen Plattformen und Apps Sorgen bereiten, denn es könnte deren Geschäftsmodell gefährden.

Ist dieses Ergebnis auf andere Fälle übertragbar?

Vor den Arbeitsgerichten gibt es zurzeit zahlreiche anhängige Verfahren im Bereich der Essenslieferungen, aber auch in anderen Bereichen wie privaten Taxidiensten.

Manche Sozialversicherungsträger gingen bereits davon aus, dass die Fahrradkuriere klassische Arbeitnehmer sind und die digitalen Plattformen sich somit der Schwarzarbeit schuldig machten, indem sie die geschuldeten Sozialabgaben nicht zahlten (z.B.: TASS de Paris, 14.12. 2016, Nr. 16-03915). Das Berufungsgericht Paris hingegen hat sich stets geweigert, den Arbeitnehmerstatus der selbstständigen Lieferanten anzuerkennen, insbesondere im Fall eines Kuriers der Gesellschaft „Deliveroo“ (Berufungsgericht Paris, 09.11.2017, Nr. 16/12875). Wenn ein Antragsteller also die Voraussetzungen zur Umqualifizierung seines Arbeitsverhältnisses in einen Arbeitsvertrag nicht nachweisen kann, also hauptsächlich das Unterordnungsverhältnis mit seinem Arbeitgeber, bleibt er für die Justiz weiterhin ein Einzelunternehmer.

Es ist anzumerken, dass sogar die Regierung beabsichtigt, die Auswirkungen eines solchen Urteils zu begrenzen. Der Gesetzentwurf zur Orientierung der Mobilität, der dem Ministerrat vorgestellt und am 26.11.2018 dem Senat vorgelegt wurde, sieht die Möglichkeit vor, dass die elektronischen Vermittlungsplattformen eine Charta erstellen, um ihre gesellschaftspolitische Verantwortung zu umreißen, so dass den Selbstständigen, die deren Dienste nutzen, soziale Rechte gewährt werden. Um dieses Verhältnis abzusichern, sieht der Gesetzentwurf vor, dass das Bestehen dieser Charta und die Einhaltung bestimmter darin enthaltener Verpflichtungen nicht ausreichen, um das Bestehen einer juristischen Unterordnung zwischen der Plattform und den Arbeitern nachzuweisen.

Françoise Berton, französische Rechtsanwältin

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Bild: dbunn

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