Die Kündigungsrücknahme beendet den Annahmeverzug nicht automatisch
04.01.18

Anspruch des gekündigten Mitarbeiters auf fortlaufenden Lohn bei unwirksamer Kündigung
Wird einem Arbeitnehmer nach deutschem Arbeitsrecht gekündigt und stellt das im Anschluss angerufene Gericht die Unwirksamkeit der Kündigung fest, besteht das Arbeitsverhältnis fort. Für die Zeit, in der der Arbeitnehmer seit der Kündigung nicht gearbeitet hat, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf seinen regulären Arbeitslohn, da der Arbeitgeber seiner Pflicht nicht nachgekommen ist, dem Arbeitnehmer Arbeit zuzuweisen. Der Arbeitgeber ist dann im Annahmeverzug, weil er dem Angebot des Arbeitnehmers, weiter zu arbeiten, nicht Folge geleistet hat, indem er ihm die Möglichkeit zu arbeiten verwehrt hat. Problematisch ist die Rechtslage jedoch, wenn der Arbeitgeber zwischenzeitlich die Kündigung zurückgenommen hat. Dann ist die Frage, ob sich der Arbeitgeber weiterhin im Annahmeverzug befindet. Dies hatte neulich das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 24.05.2017 zu erörtern.
Der Arbeitgeber nimmt seine Kündigung zurück
Eine Arbeitnehmerin war seit Herbst 2007 bei einem Nahverkehrsunternehmen als Busbegleitung beschäftigt. Ihre Arbeitsleistung bestand darin, geistig und körperlich behinderte Personen während einer morgendlichen Busfahrt und nachmittags auf der Rückfahrt im Bus zu begleiten. Dafür zahlte ihr das Unternehmen ohne schriftlichen Arbeitsvertrag eine Tagespauschale von 7,50 € für effektiv erbrachte Arbeit ohne bezahlten Urlaub oder Entgeltfortzahlung. Im Sommer 2012 wurde einen Arbeitsvertrag mit Stundenzahl und einem Stundenlohn von 9,00 € abgeschlossen.
Auf grund von Meinungsverschiedenheiten in der Bezahlung wurde der Arbeitnehmerin mit Schreiben vom 07.11.2012 zum 30.11.2012 gekündigt und sie von der Arbeit freigestellt. Gegen diese Kündigung erhob die Arbeitnehmerin Kündigungsschutzklage. Daraufhin nahm die beklagte Arbeitgeberin die Kündigung zurück, was von der Klägerin auf grund der finanziellen Streitpunkte hinsichtlich des ursprünglichen Arbeitslohns abgelehnt wurde. Das Arbeitsgericht Essen gab der Kündigungsschutzklage in der ersten Instanz statt. Dadurch dass die Klägerin aber primär mehr an Finanziellem interessiert war als an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, einigten sich die Parteien auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.01.2013 gegen Zahlung einer Abfindung und setzten ihren Prozess hinsichtlich etwaiger Schadensersatzansprüche in der Berufung und vor dem Bundesarbeitsgericht fort.
Aufhebung des Annahmeverzugs des Arbeitgebers mit der Kündigungsrücknahme?
Dabei stand in Frage, bis zu welchem Tag die Klägerin hier Anspruch auf Lohnfortzahlung inne hatte, da ja am 23.11.2012 die Kündigung durch den Arbeitgeber zurückgenommen wurde und somit wieder die Möglichkeit zur Erbringung der Arbeitsleistung gegeben war. Mit anderen Worten richtete sich die Frage an das Bundesarbeitsgericht, ob die Rücknahme der Kündigung den Annahmeverzug aufhebt.
Dies ist laut BAG nur dann der Fall, „wenn der Erklärung des Arbeitgebers mit hinreichender Deutlichkeit die Aufforderung zu entnehmen ist, der Arbeitnehmer möge zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort die Arbeit wieder aufnehmen.“ Diese Arbeitsaufforderung war vorliegend nicht erklärt worden.
Ergänzend führt das Bundesarbeitsgericht aus, dass der Annahmeverzug seitens des Arbeitgebers selbst dann weiterbesteht, wenn der Arbeitnehmer die Fortsetzung der Arbeitsleistung ablehnt. Denn eine Kündigung – egal ob sie zurück-genommen wird oder nicht – löst stets die Folge aus, dass der Arbeitnehmer bei erfolgreicher Kündigungsschutzklage die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen eine Abfindung beantragen kann, gemäß §§ 9, 10 KSchG. Dies kann er stets dann verlangen, wenn ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aus den konkreten Umständen nicht zugemutet werden kann. Dies würde zu der Tatsache in Widerspruch stehen, wenn der Arbeitnehmer bei Rücknahme der Kündigung verpflichtet wäre, bei entsprechender Aufforderung unverzüglich wieder zu erscheinen.
In der Praxis also sollten Arbeitgeber, die von der Wirksamkeit ihrer Kündigung nicht mehr überzeugt sind und sie daher zurücknehmen wollen, ohne dabei die Lohnfortzahlung zu schulden, die Kündigungsrücknahme mit der Klarstellung verbinden, dass die Kündigung rechtswidrig bzw. unwirksam war. Außerdem sollten sie den Arbeitnehmer, falls er infolge der Kündigung nicht mehr arbeitet, dazu auffordern, zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort die Arbeit wieder aufzunehmen.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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