Übermäẞige Dauer eines Insolvenzverfahrens
Veröffentlicht am 22.08.24

In dem Eröffnungsbeschluss eines Insolvenzverfahrens nach französischem Recht wird eine Frist für die Beendigung der Abwicklung festgesetzt. Diese Frist im Insolvenzverfahren ist jedoch lediglich ein Richtwert . Das Insolvenzgericht kann die Frist verlängern, wenn die Abwicklung des Insolvenzverfahrens nicht fristgerecht beendet werden kann. Leider kommt es häufig vor, dass ein Insolvenzverfahren übermäßig lange dauert. Dieses Thema ist immer wieder der Streitgegenstand vor den französischen Gerichten. Hier ist der derzeitige rechtliche Stand zu diesem Thema im französischen Insolvenzrecht.
Insolvenzverfahren geht weiter trotz übermäßiger Dauer
In einem Fall hatte der Schuldner im Jahr 2011 (34 Jahre später!) beantragt, den Ausspruch der Beendigung des Insolvenzverfahrens zu bewirken. . Er stützte sich auf die Insolvenzverfahrensdauer von 34 Jahren und berief sich auf das Recht auf ein faires Verfahren innerhalb einer angemessenen Frist aufgrund der Europäischen Menschenrechtskonvention. Es gab jedoch noch verwertbare Aktiva. Solange dies der Fall ist, gilt also die Regel, dass das Verfahren nicht abgeschlossen werden kann. Auch nicht nach 34 Jahren wie in diesem Fall.
Nach einer ersten ablehnenden Entscheidung ging der Schuldner in die Berufung. Das französische Berufungsgericht (Cour d’appel) befand ebenfalls, dass die Voraussetzungen für eine Beendigung des Verfahrens nicht vorlägen. Allerdings war es der Ansicht, dass das Verfahren nicht übermäßig lange andauern dürfe. Im vorliegenden Fall sei dem Verfahren seine wirtschaftliche Rechtfertigung entzogen worden welche darin lag, die Gläubiger zu befriedigen. Daher sei die die Vorenthaltung der Rechte des Schuldners nicht mehr gerechtfertigt. Das Berufungsgericht veranlasste die Beendigung des Insolvenzverfahrens.
Nach einem vom Insolvenzverwalter gestellten Revisionsantrag, hat der französische Kassationshof in seinem Urteil vom 16.12.2014 die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben. Das oberste Gericht stellte erneut klar, dass die Beendigung nicht ausgesprochen werden kann, solange die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, d.h. solange noch verwertbare Aktiva vorhanden sind. Dementsprechend kann die Beendigung des Insolvenzverfahrens nicht die Folge einer übermäẞig langen Dauer des Insolvenzverfahrens sein. Der französische Kassationshof vertritt also eine formalrechtliche Auffassung.
Jedoch wurde in diesem Bereich das Gesetz mit Wirkung ab dem 1.7.2014 gelockert (auf diesen Fall noch nicht anwendbar). Die Beendigung des Insolvenzverfahrens wegen unzureichender Aktiva kann nunmehr ausgesprochen werden, wenn das Interesse an seiner Durchführung gegenüber den Schwierigkeiten der Verwertung der restlichen Aktiva unverhältnismäẞig ist.
Ansprüche des Insolvenzschuldners bei zu langem Insolvenzverfahren
Die Tatsache, dass das Verfahren allein aufgrund der überlangen Dauer nicht abgeschlossen werden kann, bedeutet jedoch nicht, dass der Schuldner keine Entschädigung erhalten kann.
Schadensersetzanspruch gegen den Insolvenzverwalter
Die überlange Dauer des Insolvenzverfahrens ist manchmal dem Insolvenzverwalter zuzuschreiben, der seine Aufgaben nicht erfüllt hat. In diesem Fall ist es möglich, ihn aus unerlaubter Handlung („responsabilité civile délictuelle“) haftbar zu machen, um Schadensersatz zu erhalten.
Dies wurde zum Beispiel vom Berufungsgericht Nancy am 09.01.2018 entschieden. In diesem Fall hatte die Abwicklung der Insolvenz eines Landwirts 21 Jahre gedauert. Das Berufungsgericht war der Ansicht, dass der Fehler des Insolvenzverwalters darin bestand, dass er über lange Zeiträume hinweg untätig blieb, ohne auch nur die geringste Sorgfalt walten zu lassen. Der Insolvenzschulnder konnte den daraus resultierenden wirtschaftlichen Schaden nicht nachweisen, erhielt dafür aber eine Entschädigung für seinen immateriellen Schaden in Höhe von EUR 15.000,00.
Schadensersetzanspruch gegen den französischen Staat
Anspruch nach französischem Verwaltungsrecht
Der französische Kassationshof hat dem Insolvenzschuldner einen Anspruch auf Ersatz seines Schadens zuerkannt, der ihm durch die Dauer der Abwicklung entstanden ist. Bei der Abwicklung ist dem Insolvenzschuldner nämlich jegliche Verfügung über sein Vermögen untersagt. Das Insolvenzgericht gewährt dem Schuldner das Recht, Schadensersatz wegen eines groben Fehlers der Rechtspflege zu verlangen. Konkret geht es darum, den Staat vor Gericht zu verklagen. An dieses Recht wurde in dem bereits erwähnten Urteil vom 16.12.2014 erinnert.
Anspruch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention
Es ist auch möglich, den EGMR anzurufen, um eine Verurteilung Frankreichs wegen der übermäßigen Dauer des Insolvenzverfahrens zu erreichen. Eine übermäßige Verfahrensdauer verstößt gegen das in Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Recht auf ein Urteil innerhalb einer angemessenen Frist. So wurde Frankreich beispielsweise 2002 und 2011 vom EGMR auf dieser Grundlage verurteilt.
Die Anrufung des EGMR kann jedoch nicht erfolgen, ohne dass die innerstaatlichen Rechtsbehelfe ausgeschöpft wurden. Dies ist bei der oben erwähnten Staatshaftungsklage der Fall. So lehnte der EGMR beispielsweise 2017 eine Klage eines Insolvenzschuldners ab, da dieser seine Staatshaftungsklage nicht genutzt hatte, bevor er sich an den EGMR wandte.
Fazit:
Insolvenzschuldner verfügen über Rechtsmittel, um ihre Ansprüche bei einem zu langen Insolvenzverfahren geltend zu machen, auch wenn deren Gelterndmachung in der Praxis recht komplex ist.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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