Bezahlter Urlaub in der Ausschlusszeit nach unwirksame Kündigung
17.02.22

In einem Urteil vom 01.12.2021 (Nr. 19.24-766) hat der frz. BGH, der Kassationshof, geurteilt, dass Arbeitnehmer, deren Kündigung für ungültig erklärt wurde, in der Ausschlusszeit bezahlte Urlaubstage ansammeln können. Die Ausschlusszeit ist der Zeitraum zwischen der als ungültig festgestellten Kündigung und der Wiedereingliederung des Arbeitnehmers in das Unternehmen. Der Kassationshof bestätigt, dass der Arbeitnehmer, außer wenn er zwischenzeitlich eine andere Stelle besetzt hat, zwischen dem Tag der für ungültig erklärten Kündigung und dem Tag seiner Wiedereingliederung in das Unternehmen bezahlte Urlaubstage ansammelt.
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Zeitraum nach Kündigung gilt als tatsächliche Arbeitszeit
Bis zum jetzigen Zeitpunkt war der Kassationshof der Ansicht, dass dieser Zeitraum nicht als tatsächliche Arbeitszeit gelten kann und der Arbeitnehmer während dieser Zeit folglich keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub hat (Kassationshof, Kammer für Sozialsachen, 30.01.2019, Nr. 16-25.672). Es handelt sich daher um eine kürzlich ergangene wichtige Rechtsprechungsänderung, die durch ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) angestoßen wurde.
In einem Urteil vom 25.06.2020 (Nr. C-762/18 und C-37/19) hat der EuGH entschieden, dass ein Arbeiter für den Zeitraum zwischen der für ungültig erklärten Kündigung und seiner Wiedereingliederung in das Unternehmen einen Anspruch auf die entsprechenden bezahlten Urlaubstage oder eine Ausgleichszahlung für nicht in Anspruch genommene Urlaubstage hat. Er geht davon aus, dass die Ausschlusszeit tatsächliche Arbeitszeit ist.
Dies geht aus Artikel 7 Abschnitt 1 der Richtlinie 2003/88/EG vom 01.11.2003 zu einigen Aspekten der Organisation der Arbeitszeit hervor. Dieser Artikel besagt: „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.“
Alle Berufungsurteile, die annehmen, dass die Ausschlusszeit des Arbeitnehmers keinen Anspruch auf den Erwerb bezahlter Urlaubstage entstehen lässt, werden vom Kassationshof folglich aufgehoben werden. Dennoch obliegt es dem Richter, zu überprüfen, ob ein Arbeitnehmer während dieses Zeitraums eine andere Stelle besetzt hat oder nicht. Ist dies der Fall, dann hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub.
Anspruch auf bezahlten Urlaub während der Ausschlusszeit
Im vorliegenden Fall erlitt ein Arbeitnehmer, der von der Gesellschaft Frost & Sullivan Limited als „Principal Consultant“ – Direktor Beratung Frankreich – eingestellt worden war, am 24.06.2010 einen Arbeitsunfall und war bis zum 05.07.2010 krankgeschrieben. Daraufhin wurde ihm am 10.08.2012 personenbedingt gekündigt. Er focht seine Kündigung vor dem Arbeitsgericht an.
Das Berufungsgericht von Paris war der Annahme, dass die Kündigung angefochten werden sollte, ging aber davon aus, dass für die Ausschlusszeit zwischen Kündigung und Wiedereingliederung des Arbeitnehmers kein Anspruch auf den Erwerb bezahlter Urlaubstage bestand. Das Kündigungsverfahren wurde für ungültig erklärt, da der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gekündigt hatte, obwohl der Arbeitsvertrag wegen der Krankheit des Mitarbeiters ausgesetzt war – dies wird in Artikel L. 1226-9 des frz. Arbeitsgesetzbuches verboten.
Der Kassationshof hat die Ungültigkeit der Kündigung bestätigt, bezieht aber eine dem Berufungsgericht entgegengesetzte Position bezüglich des bezahlten Urlaubs. Er urteilt, dass „der Arbeitnehmer, außer wenn er während der Ausschlusszeit zwischen dem Tag der für ungültig erklärten Kündigung und dem Tag der Wiedereingliederung an seinem Arbeitsplatz eine andere Stelle besetzt hat, seinen Anspruch auf bezahlten Urlaub für diesen Zeitraum in Anwendung der Bestimmungen der Artikel L. 3141-3 und 3141-9 des frz. Arbeitsgesetzbuches geltend machen kann“.
Eine für Arbeitnehmer günstige Lösung
Diese Position kann kritisiert werden, denn grundsätzlich ermöglicht der Anspruch auf bezahlten Urlaub Arbeitnehmern als Ausgleich für die Ausübung ihrer Tätigkeit, Ruhezeiten zu genießen und bestimmte Freizeitaktivitäten wahrzunehmen. Der Kassationshof ist nun aber der Ansicht, dass, auch wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit aufgrund seines Ausscheidens aus dem Unternehmen aus einem Grund, der von seinem Willen unabhängig ist, nicht ausübt, der Anspruch auf bezahlten Urlaub nicht davon abhängig gemacht werden kann, dass er tatsächlich gearbeitet hat. Diese Stellungnahme ist für Arbeitnehmer günstig, da sie nicht dafür bestraft werden, dass ihnen ungültig gekündigt wurde.
Man kann sich jedoch fragen, ob diese Entscheidung auch dann anwendbar ist, wenn es sich um eine ordentliche Kündigung handelt und der Richter die Wiedereinstellung des Arbeitnehmers anordnet. Der Kassationshof hat diesbezüglich noch nicht Stellung genommen.
Praxishinweis: Der Arbeitgeber, dessen Kündigungsaussprache von den Richtern angefochten wird, muss nun auch den nach der Kündigungsmitteilung erworbenen Anspruch auf bezahlten Urlaub in seine Kosten einbeziehen.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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