Die jährliche Tagespauschale und die freie Festlegung der Arbeitszeiten

28.04.22
Die Grenzen der Freiheit im Rahmen der jährlichen Tagespauschale als Arbeitszeit
Die jährliche Tagespauschale und die freie Festlegung der Arbeitszeiten
Die Grenzen der Freiheit im Rahmen der jährlichen Tagespauschale als Arbeitszeit

In einem Urteil vom 02.02.2022 hat der frz. BGH, der Kassationshof, das System der jährlichen Tagespauschale als Arbeitszeitmodell des französischen Arbeitsrechts in Bezug auf die Freiheit, die Arbeitszeit zu bestimmen, die dem Arbeitnehmer dadurch zuteilwird, erläutert (Kassationshof, 02.02.2022, Nr. 20-15.744).

In diesem Urteil gibt der frz. BGH an, dass „die individuelle Vereinbarung einer jährlichen Tagespauschale dem Arbeitnehmer nicht das Recht gibt, seine Arbeitszeiten frei und unabhängig von jedweder mit der Arbeitsorganisation verbundenen Beschränkung, die der Arbeitgeber in Ausübung seiner Weisungsbefugnis vorgegeben hat, festzulegen.“  

Eine Arbeitnehmerin mit einer jährlichen Tagespauschale hält die von ihrem Arbeitgeber vorgegebene Arbeitszeitplanung nicht ein

 In dem vorliegenden Fall hatte eine Veterinärklinik in Frankreich eine Arbeitnehmerin mit einer Tagespauschale von 216 Arbeitstagen pro Jahr eingestellt.

Zur Erinnerung: Bei der jährlichen Tagespauschale wird die Arbeitszeit in Tagen pro Jahr und nicht in Stunden pro Woche (wie es beim klassischen Arbeitsvertrag der Fall ist) berechnet. Die Anzahl der gearbeiteten Tage ist in Frankreich auf höchstens 218 pro Jahr festgelegt.

Die Arbeitnehmerin hat anschließend darum gebeten, dass ihre Arbeitszeit reduziert wird (auf 198 Tage pro Jahr); der Arbeitgeber war damit einverstanden. Er hat der Arbeitnehmerin einen Anwesenheitsplan für ihren Arbeitsplatz in der Veterinärklinik vorgelegt, der in ganzen und halben Tagen organisiert war. Dieser ermöglichte der Klinik, im Voraus mit den Patienten Termine zu vereinbaren.

Die Arbeitnehmerin hat ihren Arbeitsplan jedoch mehrfach nicht eingehalten – trotz wiederholter Verwarnungen durch ihren Arbeitgeber. Schließlich wurde ihr wegen groben Verschuldens aufgrund der Nichteinhaltung des festgelegten Anwesenheitsplans gekündigt. Denn sie kam in die Klinik, wann sie wollte, und gab ihren Kollegen nicht Bescheid, wenn sie diese wieder verließ. Folglich war es für die Klinik unmöglich, ihre An- oder Abwesenheit zu planen und Termine festzulegen.

Unbegründetheit der Kündigung begründet auf der Autonomie der Arbeitnehmerin in ihrer Arbeitsorganisation 

Die Arbeitnehmerin hat eine Kündigungsschutzklage bei Gericht eingereicht, mit der Begründung, dass einer leitenden Angestellten in ihrer Arbeitsorganisation eine Freiheit zuteilwerde und sie eine einseitig von ihrem Arbeitgeber festgelegte Planung nicht einzuhalten brauchen sollte. Der Arbeitgeber ging seinerseits davon aus, dass die Arbeitnehmerin nicht kommen und gehen könne, wie sie will. Er gab darüber hinaus an, dass die Einhaltung der Planung für die Tätigkeit der Klinik unerlässlich wäre, da diese Patienten nach Terminvereinbarung empfange. Des Weiteren konnte die Arbeitnehmerin ihre Arbeitszeiten innerhalb dieser Beschränkung des vorgelegten Arbeitsplans frei bestimmen.

Der frz. BGH erinnert daran, dass ein Arbeitnehmer mit einer jährlichen Tagespauschale über keine vollständige Freiheit verfügt 

Der frz. BGH gab dem Arbeitgeber trotz der Vereinbarung der Tagespauschale recht und begründete dies mit der spezifischen Tätigkeit des Arbeitgebers in der Veterinärklinik. Im vorliegenden Fall empfang die Veterinärklinik ihre Patienten tatsächlich nach vorheriger Terminvereinbarung.

Der Arbeitgeber hatte folglich das Recht, seiner Arbeitnehmerin vorzuschreiben, ganze oder halbe Tage anwesend zu sein, insbesondere (und daran erinnert der ehemalige Arbeitgeber), da es ihr vollkommen freistand, ihre Arbeitszeiten innerhalb dieser Planung frei zu bestimmen.

Der frz. BGH war der Ansicht, dass „die Festlegung von halben oder ganzen durch den Arbeitgeber vorgegebenen Anwesenheitstagen die Arbeitnehmerin in der Organisation ihrer Arbeitstage innerhalb dieser Beschränkung nicht behinderte, dass sie ihren Arbeitstag so organisieren konnte, wie es ihr angenehm war und dass ihre Arbeitszeiten ihr freistanden und sie diese nach ihrer Vorstellung organisieren konnte“.

Der Arbeitgeber war daher berechtigt, seiner ehemaligen Arbeitnehmerin ihre Abwesenheiten vorzuwerfen.  

Selbst bei einer individuellen Vereinbarung einer Tagespauschale behält der Arbeitgeber eine Weisungsbefugnis 

Folglich kann die Art der Tätigkeit des Arbeitgebers diesen manchmal dazu berechtigen, seinen Arbeitnehmer mit jährlicher Tagespauschale einen Arbeitsplan vorzuschreiben, ohne dass dieser deren Autonomie in Frage stellt – vorausgesetzt, der Arbeitnehmer ist in seiner Arbeitsorganisation innerhalb der vom Arbeitgeber festgelegten Beschränkungen autonom.

Der frz. BGH bestätigt daher, dass, auch wenn die jährliche Tagespauschale Arbeitnehmern vorbehalten ist, die bei der Organisation ihrer Arbeitszeiten autonom sind (Artikel L. 3121-58 des frz. Arbeitsgesetzbuches), diese Autonomie keiner vollständigen Unabhängigkeit gleichbedeutend ist.

Dadurch behält der Arbeitgeber eine Weisungsbefugnis trotz der Autonomie des Arbeitnehmers und der Arbeitnehmer muss sich an die Organisation seines Arbeitgebers anpassen. 

Françoise Berton, französische Rechtsanwältin

Alle Urheberrechte vorbehalten

Bild: Svitlana

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