Richterliche Prüfung der kollektiven Aufhebungsvereinbarung
Veröffentlicht am 13.04.23

Seit 2017 haben französische Arbeitgeber die Möglichkeit, eine „kollektive Aufhebungsvereinbarung„ auszuhandeln, welche eine tatsächliche Alternative zu den langwierigen und komplexen Sozialplänen (plan de sauvegarde de l’emploi, kurz PSE) nach französischem Arbeitsrecht oder sogar eines „Plans zum selbstbestimmten und freiwilligen Ausscheiden aus dem Unternehmen“ (plan de départs volontaires autonomes, kurz PDV) darstellt. Diese neue Art der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsvertrages durch kollektive Aufhebungsvereinbarung kommt ohne Zwangsentlassungen aus, welche oft mit gerichtlichen Auseinandersetzungen verbunden sind, unterliegt jedoch ebenfalls der Verwaltungskontrolle. Diese Kontrolle ist nicht gleichdeckend mit der Kontrolle der individuellen Aufhebungvereinbarung.
Grundsatz der Verwaltungskontrolle über die Vereinbarung über die kollektive Aufhebungsvereinbarung
Wie andere zahlreiche Unternehmen, die eine solche Verhandlung mit ihren Sozialpartnern im Unternehmen begonnen haben, konnte die Gesellschaft Téléperformance France, ein Call-Center, am 02.05.2018 eine Betriebsvereinbarung abschließen, welche eine kollektive Aufhebungsvereinbarung mit den Gewerkschaftsorganisationen auf Betriebsebene vorsah. Gemäß den Bestimmungen des Arbeitsgesetzes hat der Arbeitgeber diese Aufhebungsvereinbarung an die zuständige Behörde übermittelt. Nach den aktuellen Regeln im Bereich des Arbeitsrechts wird nämlich überprüft, ob die Bedingungen für die Gültigkeit erfüllt sind.
Nach der Übermittlung der Vereinbarung durch die Gesellschaft Téléperformance France bestätigte die zuständige Behörde, die Direccte (Direction régionale du travail) die Vereinbarung durch eine Entscheidung vom 18.05.2018. Allerdings wurde durch die beiden Gewerkschaften, welche den Vergleich nicht unterzeichneten, sowie durch den Ausschuss für Hygiene, Sicherheit und Arbeitsbedingungen des Unternehmens und einen der Arbeitnehmer der Téléperformance ein Verfahren vor dem Verwaltungsrichter eingeleitet. Wie im Gesetz vorgesehen wurde das Gericht tatsächlich innerhalb einer Frist von 2 Monaten nach Kenntnisnahme durch die Kläger der behördlichen Entscheidung angerufen.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Cergy-Pontoise vom 16.10.2018 war das erste veröffentlichte Urteil und liefert Einblicke in die Reaktion der Verwaltungsrichter auf die neu im französischen Recht eingeführte kollektive Aufhebungsvereinbarung. Dieses Urteil hat zumindest einige Punkte klargestellt.
Frist zur Mitteilung an die Behörde über den Beginn der Verhandlungen
Laut Arbeitsgesetz muss jeder Arbeitgeber, der Verhandlungen bezüglich einer kollektiven Aufhebungsvereinbarung beginnen möchte, „unverzüglich“ die zuständige Behörde über diese Absicht informieren.
Im vorliegenden Fall hat das Unternehmen die Verhandlungen am 10.01.2018 begonnen. Die Kläger warfen dem Arbeitgeber vor, die Behörde erst am 01.02.2018 informiert zu haben. Diese Verzögerung hat laut ihnen die behördliche Entscheidung beeinträchtigt. Sie waren der Auffassung, dass dieser Umstand die Nichtigkeit der Vereinbarung aufgrund eines Verfahrensfehlers bewirkt.
Die Verwaltungsrichter teilen diese Meinung nicht. Für sie ist die Nichtbeachtung dieser Frist unerheblich für die Gültigkeit der Vereinbarung, sofern sie keinerlei Folgen in Bezug auf die Verfahrensgarantien hat. Außerdem hat dieser Umstand keinen Einfluss auf die Meinung der mit der nachträglichen Bestätigung der Vereinbarung beauftragten Behörde. Die Verwaltungsrichter bitten die Kläger also, die „unmittelbare Mitteilung an die Behörde“ als eine einfache Beobachtung der Verhandlungen durch die Behörde zu betrachten und nicht als eine Voraussetzung für die Gültigkeit der Vereinbarung selbst.
Anhörung der Arbeitnehmervertretungen oder nicht?
Die Gewerkschaften, die nicht unterzeichnet haben, und der Arbeitnehmer haben ebenfalls versucht, die behördliche Entscheidung für ungültig erklären zu lassen und zwar mit der Begründung, dass die Arbeitnehmervertreter im Unternehmen nicht am Verfahren beteiligt waren.
Es ist allgemein bekannt, dass das Arbeitsrecht den Arbeitgeber dazu verpflichtet, den Sozial- und Wirtschaftsausschuss („CSE“) anzuhören, wenn er eine „Umstrukturierung und einen Personalabbau“ plant.
Doch auch wenn die kollektive Aufhebungsvereinbarung zum freiwilligen Ausscheiden von Arbeitnehmern führt, so kommt sie dennoch in Form einer ausgehandelten Vereinbarung daher. Da die Vereinbarung das Ergebnis von Gesprächen zwischen dem Arbeitgeber und den Gewerkschaften ist, hatte die Reform von 2017 die Pflicht zur Anhörung der Arbeitnehmervertretungen (jetzt „CSE“) bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung abgeschafft. Folgerichtig weist der Richter diesen neuen Versuch, die kollektive Aufhebungsvereinbarung für ungültig zu erklären, ab.
Inhaltliche Kontrolle der kollektiven Aufhebungsvereinbarung
Da das Arbeitsrecht sich darauf beschränkt, verbindliche Mindestklauseln vorzusehen, die in jeder kollektiven Aufhebungsvereinbarung enthalten sein müssen, argumentierten die Arbeitnehmervertreter ebenfalls, dass diese Klauseln den „Grundsatz der Gleichbehandlung“ beachten müssen, um über die möglichen Kandidaten zum freiwilligen Ausscheiden zu entscheiden.
Diesem Argument hätten die Verwaltungsrichter stattgeben können, denn es stützte sich auf die Informationen des Ministeriums vom 19.05.2018. Dieser Text besagte nämlich, dass die Gesetzestexte nur den Mindestinhalt nennen und dass die Regeln zur Bestimmung der zum freiwilligen Ausscheiden berechtigten Arbeitnehmer zuvor festgelegt werden und objektiv sein müssen. Es obliegt anschließend der Behörde, bei der Kontrolle der Vereinbarung die Einhaltung dieser Regeln sicherzustellen.
Der Richter vertrat einen anderen Standpunkt und erklärte, dass die Behörde lediglich das Vorhandensein der vom französischen Arbeitsrecht vorgesehenen Klauseln überprüfen muss. Die zwischen dem Arbeitgeber und den Gewerkschaftsorganisationen frei ausgehandelten Modalitäten bezüglich der Auswahlkriterien sind also keine Voraussetzung für die Gültigkeit und können bei Nichtbeachtung nicht zur Nichtigkeit der Vereinbarung führen.
Gelegenheitskontrolle oder einfache Rechtsmäßigkeitsprüfung?
Dieses Urteil gab vor allem eine erste Bestätigung im Hinblick auf die Art der Kontrolle der kollektiven Aufhebungsvereinbarungen durch die Behörde. Die Antwort der Richter besagt, dass es sich um eine einfache Rechtsmäßigkeitsprüfung handelt.
Die Kläger hatten dem Verwaltungsgericht in der Tat vorgeworfen, dass die zuständige Behörde DIRECCTE die Inhaltskontrolle der Vereinbarung zu oberflächlich durchgeführt habe im Hinblick auf die Begründung des Arbeitgebers, um auf freiwillige Austritte zurückzugreifen. Sie waren auch der Meinung, dass die Auswahlkriterien für die Kandidaten für den Austritt von der Behörde vernachlässigt wurden, welche sich darauf beschränkt hatte, das Bestehen und nicht die Zweckmäßigkeit dieser Kriterien zu prüfen.
Die Antwort darauf bestand darin, dass die Ordnungsmäßigkeit der durch die Behörde in Bezug auf die kollektive Aufhebungsvereinbarung durchgeführte Kontrolle vom 02.05.2018 bestätigt wurde. Die Überprüfung durch die DIRECCTE wurde in den Augen der Richter „umfassend und angemessen“ durchgeführt, so dass die Einhaltung des Verfahrens gewährleistet wurde. Die Richter haben sich wieder einmal für eine enge Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen entschieden. Der Arbeitgeber hat also weiterhin die Möglichkeit, sich für eine kollektive Aufhebungsvereinbarung statt für einen Sozialplan zu entscheiden, selbst wenn ein wirtschaftlicher Grund vorliegt und der Abbau von Arbeitsplätzen bevorsteht.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Richter sich an den Geist der großen Reform der Macron-Verordnungen halten. Es ist dabei anzumerken, dass in den meisten Reichsstreitigkeiten zum Thema der kollektiven Aufhebungsvereinbarung ausschließlich die Verwaltungsrichter zuständig sind.
Verhandlungen der kollektiven Aufhebungsvereinbarung nach Treu und Glauben
Der Staatsrat fällte am 21. März 2023 ein Urteil bezüglich der Verwaltungskontrolle über die Bedingungen für die Aushandlung und den Abschluss einer kollektiven Aufhebungsvereinbarung. Dieses Urteil ist ebenfalls spezifisch, da es sich bei dem betroffenen Arbeitgeber um die Caisse des Dépôts et des Consignations (im Folgenden „CDC“) handelte, die in die Kategorie der besonderen öffentlichen Anstalten eingestuft wird.
Im vorliegenden Fall hatte die CDC Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern aufgenommen und einen kollektiven Aufhebungsvereinbarung in Betracht gezogen. Die CDC wollte nicht nur ihre privatrechtlich Beschäftigten, sondern auch ihr öffentlich-rechtliches Personal in diesen Prozess einbeziehen. Das Gesetz zur Umwandlung des öffentlichen Dienstes vom 6. August 2019 hatte die Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuchs über die kollektive Aufhebungsvereinbarung für Beamten für anwendbar erklärt, wobei es hieß, dass der einheitliche Ausschuss der öffentlichen Anstalt („CUEP“) anstelle des CSE fungieren würde und angehört werden müsse. Dieses Gesetz war jedoch erst in Kraft getreten, nachdem die Verhandlungen im Rahmen des Urteils in diesem Fall begonnen hatten.
Die CDC unterzeichnete daher drei separate Vereinbarungen, die für alle Beschäftigten aller Statusgruppen galten, wobei eine Vereinbarung eine kollektive Aufhebungsvereinbarung betraf.
Die Gewerkschaft CGT, die die Vereinbarung über die Aufhebungsvereinbarung nicht unterzeichnet hatte, focht die Genehmigungsentscheidung der Direccte (jetzt Dreets genannt) an. Sowohl das Verwaltungsgericht Paris als auch das Verwaltungsberufungsgericht wiesen die Klage der CGT ab.
Die Streitpunkte betrafen vor allem die Frage, ob die Verhandlungen nach Treu und Glauben liefen und ob das Anhörungsverfahren rechtskonform war.
Die CGT war der Ansicht, dass die CDC gegen ihre Loyalitätspflicht verstoßen hatte, da sie die Verhandlungen aufgenommen hatte, noch bevor das Gesetz die Bestimmungen über Vertragsbrüche für Beamten für anwendbar erklärte. Das Berufungsgericht wies dieses Argument mit der Begründung zurück, dass ein Fehler, der die Bedingungen für die Aushandlung einer Vereinbarung betrifft, nur dann zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung der Direccte führen kann, wenn dieser Fehler die Vereinbarung selbst als nichtig kennzeichnet. Nach Ansicht des Berufungsverwaltungsgerichts beeinträchtigte dies jedoch weder die Gültigkeit der schließlich geschlossenen Aufhebungsvereinbarung noch die Lauterkeit der Verhandlungen, da die CDT nachgewiesen hatte, dass die Sozialpartner sofort darüber informiert worden waren, dass die Anwendung der Vereinbarung auf öffentlich Bedienstete von der Verabschiedung des Gesetzes im Jahr 2019 abhängen würde. Darüber hinaus war das Gericht der Ansicht, dass die Tatsache, dass die Vereinbarung über die kollektive Aufhebungsvereinbarung in eine umfassendere Vereinbarung eingebettet war, die Ehrlichkeit der Verhandlungen nicht beeinträchtigte.
Der Staatsrat bestätigte die Position des Gerichts und seine Argumentation und führt daher auf subtile Weise einen allgemeinen Grundsatz der Lauterkeit bei Tarifverhandlungen ein.
Arbeitgebern wird daher empfohlen, auf faire Verhandlungen zu achten, um eine Klage zu vermeiden, die im Nachhinein alles in Frage stellen könnte.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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Bild: Brian Jackson