Lieferort einer Ware: Kriterium für das zuständige Gericht in Europa

Veröffentlicht am 25.04.23
Zuständiges Gericht bei Warenlieferung in Europa am Lieferort
Lieferort einer Ware: Kriterium für das zuständige Gericht in Europa
Zuständiges Gericht bei Warenlieferung in Europa am Lieferort

Es stellt sich im internationalen Warenverkauf bei Streitigkeiten die Frage des zuständigen Gerichts. Für die Europäische Union gibt es eine Regelung mit dem Gericht des Lieferortes. Sie erfahren im Folgenden mehr dazu.

Warenlieferung und zuständiges Gericht nach der Brüssel-Ia-Verordnung

Bei einem Rechtsgeschäft, bei dem Waren zwischen mehreren Ländern der Europäischen Union verkauft werden, kommt es manchmal zu einem Streit zwischen Käufer und Verkäufer, z. B. über versteckte Mängel. DDer Käufer möchte wissen, in welchem Land er auf Gewährleistung oder Produkthaftung klagen kann.

Glücklicherweise gibt es europäische Verordnungen, darunter die Brüssel-Ia-Verordnung, mit deren Hilfe bestimmt werden kann, welches Gericht zuständig ist. Nach diesen europäischen Normen kann es notwendig sein, den Lieferort der Ware zu bestimmen, um zu wissen, welches Gericht zuständig ist. Dies wird zum Beispiel in einem Urteil des frz. Kassationshof (entspricht dem deutschen BGH) vom 8. Februar 2023veranschaulicht.

Anhand dieses Beispiels einer Gerichtsentscheidung erkennt man, dass es sehr wichtig ist, seinen internationalen Vertrag mit einem Anwalt aufzusetzen. Andernfalls führen Unstimmigkeiten im Vertrag dazu, dass man den falschen Richter anruft und so wertvolle Zeit verliert.

Kriterium des Lieferorts genau bestimmen

In dem Sachverhalt, der der Entscheidung vom 8. Februar 2023 zugrunde lag, hatte ein französisches Unternehmen („TFF“) zunächst bei dem deutschen Unternehmen („Kirow“) einen Eisenbahnkran bestellt, indem es am 30. Juni 2015 ein am 14. April 2015 von diesem deutschen Unternehmen abgegebenes Angebot annahm. Letztere hatte die Bedingungen der Bestellung akzeptiert, indem sie dem Unternehmen TFF am 7. Juli 2015 eine Auftragsbestätigung mit folgendem Wortlaut zusandte: „Lieferbedingungen: Die vorstehend genannten Preise verstehen sich auf der Grundlage der Lieferung EXW Leipzig gemäß den Bedingungen Incoterms 2010, zuzüglich Mehrwertsteuer.“ Der Incoterm EXW, für „Ex Works„, bedeutet unter anderem, dass die Lieferung ab Werk des Verkäufers erfolgt. Hier bedeutete dies also, dass die Lieferung in Deutschland an das Werk des Unternehmens Kirow erfolgen würde.

In einem zweiten Schritt schloss das Unternehmen TFF jedoch am 23. September 2016 einen Leasingvertrag mit dem deutschen Unternehmen „Deutsche LF“ ab, um den Kauf des Krans zu finanzieren. Diese deutsche Gesellschaft, die als Leasinggeber fungierte, schickte dem Unternehmen Kirow am 22. Dezember 2016 eine neue Auftragsbestätigung, auf der es diesmal hieß: „Wir erteilen Ihnen somit den Auftrag für dieses Material im Hinblick auf seine Lieferung an unseren Mieter gemäß den nachstehenden Bestimmungen und Bedingungen. Die vorbehaltlose Annahme dieser Bedingungen ungeachtet aller gegenteiligen Verkaufsklauseln bedingt die Gültigkeit der vorliegenden Bestellung“ und „Lieferfrist: Die Lieferung des Materials versteht sich ab dem Zeitpunkt, zu dem der Mieter es in seinen Räumlichkeiten in Empfang nimmt. Sofern nicht ausdrücklich und schriftlich davon abgewichen wird, ist die vorgesehene Lieferfrist verbindlich„. Mit anderen Worten: Diese neuen Vertragsbedingungen legten den Lieferort nunmehr in den Räumlichkeiten des Unternehmens TFF, d. h. in Frankreich, fest. Das Unternehmen Kirow widersprach dem nicht, sodass sie den Kran im März 2017 lieferte und ihre Rechnung an das Unternehmen Deutsche LF ausstellte.

Gericht für einen Streit über den Verkauf am Lieferort

Nun ist beim internationalen Warenverkauf der Lieferort von entscheidender Bedeutung für die Bestimmung des zuständigen Gerichts im Streitfall. Gem. Artikel 7 der Brüssel-I bis-Verordnung kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Nach demselben Artikel ist dieser Erfüllungsort, sofern nichts anderes vereinbart worden ist, bei einem Warenkauf der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem die Waren nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen.

Richter des tatsächlichen Lieferorts zuständig?

Wegen eines Unfalls auf einer Baustelle, an dem der gekaufte Kran beteiligt war, verklagte das Unternehmen TFF das Unternehmen Kirow vor dem Handelsgericht Val de Briey (Frankreich). Letztere machte daraufhin die Unzuständigkeit des französischen Gerichts geltend und argumentierte, dass die tatsächliche Lieferung des Krans nicht in Frankreich, sondern zunächst in der Schweiz, dann in Deutschland und erst zu einem dritten Zeitpunkt in Frankreich stattgefunden habe: Die Zuständigkeit des französischen Gerichts sei daher nicht begründet.

Dieses Argument wurde jedoch von den Richtern des Hauptverfahrens zurückgewiesen, die sich auf den Vertrag stützten – der, wie oben erwähnt, vorsah, dass der Kran in die Räumlichkeiten des Unternehmens TFF in Frankreich geliefert werden sollte -, um die Zuständigkeit des Handelsgerichts Val de Briey zu bestätigen. Das Unternehmen Kirow legte daraufhin Kassationsbeschwerde ein.

In ihrer Berufung argumentierte sie, dass der Ort der Warenlieferung im Sinne von Artikel 7 der Brüssel-Ia-Verordnung zwar grundsätzlich der im Vertrag zwischen den Parteien vereinbarte Ort sei, dass aber im Falle einer Abweichung vom tatsächlichen materiellen Lieferort der letztere Vorrang habe. Im vorliegenden Fall sah der Vertrag zwar die Lieferung des Krans nach Frankreich vor aber der Kran war zunächst in die Schweiz und dann nach Deutschland geliefert worden. Diese Lieferorte sollten Vorrang haben. Der Kassationshof musste daher entscheiden, ob der vertraglich vereinbarte Lieferort oder der tatsächliche Lieferort als Grundlage für die Zuständigkeit des Gerichts herangezogen werden sollte, und somit feststellen, ob das Handelsgericht Val de Briey tatsächlich zuständig war.

Vorrang des vertraglichen Lieferorts vor dem tatsächlichen Lieferort

Das von dem Unternehmen Kirow vorgebrachte Argument wurde von Richtern sofort zurückgewiesen. In ihrem Urteil erinnern sie nämlich daran, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine klare Hierarchie aufgestellt hat, wenn es um die Bestimmung des Lieferorts bei einem Fernabsatzgeschäft geht:

  1. Grundsätzlich gilt, dass der Ort, an den die Waren gemäß dem Vertrag geliefert wurden oder hätten geliefert werden müssen, auf der Grundlage der Klauseln dieses Vertrags zu bestimmen ist. Um zu prüfen, ob der Lieferort „aufgrund des Vertrags“ bestimmt wurde, muss das angerufene nationale Gericht alle relevanten Begriffe und Klauseln dieses Vertrags berücksichtigen, die geeignet sind, diesen Ort eindeutig zu bezeichnen. Dazu können insbesondere die Begriffe und Klauseln gehören, die in den internationalen Handelsbräuchen wie den Incoterms allgemein anerkannt und verankert sind.
  2. Nur wenn die Bestimmung des Lieferorts auf dieser Grundlage ohne Bezugnahme auf das auf den Vertrag anwendbare materielle Recht nicht möglich ist, geht der EuGH davon aus, dass als Lieferort dann der Ort der materiellen Übergabe der Waren zugrunde zu legen ist. Ebenfalls nach dem EuGH ist dies der Zeitpunkt, zu dem der Käufer die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Waren am endgültigen Bestimmungsort des Kaufgeschäfts erlangt hat oder hätte erlangen müssen.

Im vorliegenden Fall wurde in der Auftragsbestätigung, die die Parteien vertraglich bindet, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass unter Lieferung der Empfang der Ware durch den Käufer in seinen Räumlichkeiten zu verstehen ist. Aus diesen Vertragsbestimmungen lässt sich also eindeutig der Ort der Lieferung bestimmen, nämlich die in Frankreich gelegenen Geschäftsräume des Unternehmens TFF. Es ist daher nicht erforderlich, sich mit dem Ort der tatsächlichen Lieferung des Krans zu befassen. Der Kassationshof kommt daher zu dem Schluss, dass es falsch ist zu behaupten, dass der tatsächliche materielle Lieferort Vorrang vor dem vertraglich vereinbarten Lieferort haben sollte.

Sicherlich könnte man diese vom Kassationshof übernommene Position des EuGH insofern kritisieren, dass sie in bestimmten Situationen darauf hinausläuft, die tatsächlichen Gegebenheiten zu verneinen. Dafür spricht jedoch das Argument der Rechtssicherheit. Es wird so den Parteien ermöglicht den Lieferort und damit das zuständige Gericht im Voraus zu erkennen.

Für den Fall, dass die Parteien diese Regel umgehen wollen, können sie außerdem immer noch eine Gerichtsstandsklausel in ihren Vertrag aufnehmen.

Françoise Berton, französische Rechtsanwältin

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Bild: ThawKyar

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