Missbräuchlicher Vertragsbruch einer bestehenden Geschäftsbeziehung: Kumulierung der Haftungsgrundlagen
Veröffentlicht am 08.07.19

Im französischen Wirtschaftsrecht wird der missbräuchliche Vertragsbruch einer bestehenden Geschäftsbeziehung ohne Vorankündigung sanktioniert (Art L 442-6, I, 5° des frz. Handelsgesetzbuchs). Dieser Vertragsbruch wird mit Schadensersatz sanktioniert, und zwar unabhängig vom Vertragsinhalt. In einem Urteil vom 24.10.2018 stellt der französische Kassationshof eine interessante Verbindung zwischen zwei Haftungsgrundlagen für Klagen auf Schadensersatz her, nämlich einerseits wegen missbräuchlichen Vertragsbruchs und andererseits wegen Nichterfüllung eines Vertrages.
Weigerung, wie in den Vorjahren einen Stand bei einem Kongress zur Verfügung zu stellen
Der Sachverhalt, der den Richtern vorgelegt wurde: Die Tätigkeit einer Verlagsgesellschaft bestand darin, Zeitschriften zum Thema Geräte und Techniken für Zahnprothesen herauszugeben. Ihr Geschäftspartner war ein Verein, der wiederum Berufsverbände umfasste und jährliche Kongresse im Palais des Congrès in Paris organisierte.
Die Verlagsgesellschaft wollte einen Stand beim Kongress vom 24. bis 27.11.2010 erhalten und übermittelte das Formular zur Anmeldung für die Ausstellung vom Jahr 2010 mit der entsprechenden Anzahlung per Scheck, der vom Verein eingelöst wurde.
In einem Schreiben vom 23.06.2010 wundert sich die Verlagsgesellschaft, dass ihr noch immer kein Stand zugewiesen wurde.
Am 09.07.2010 wird die Verlagsgesellschaft über die Ablehnung der Standzuweisung informiert, und zwar trotz der Annahme der Anzahlung und der seit 1997 zwischen Verein und Gesellschaft bestehenden Geschäftsbeziehung.
Am 15.04.2013 entscheidet sich die Verlagsgesellschaft, eine Haftungsklage gegen den Verein anzustrengen, und zwar mit den folgenden Begründungen:
- erstens auf Grundlage der deliktischen Haftung zur Entschädigung für den missbräuchlichen Vertragsbruch der seit 14 Jahren bestehenden Geschäftsbeziehung,
- zweitens auf Grundlage der vertraglichen Haftung zur Entschädigung des Schadens aufgrund der Nichtbeachtung der vertraglichen Pflichten durch den Verein.
Die Verlagsgesellschaft verklagt den Verein somit auf zwei unterschiedlichen Rechtsgrundlagen, um zwei Entschädigungen zu erhalten: eine aufgrund des Vertrages und die andere aufgrund der deliktischen Haftung des Vereins wegen des missbräuchlichen Vertragsbruchs ihrer Geschäftsbeziehungen.
Der traditionelle Grundsatz der Nichtkumulierung der deliktischen und vertraglichen Haftung
Im Prinzip untersagt das französische Recht die Kumulierung der beiden Haftungsarten, was den Kläger zwingt, eine Wahl zu treffen und nur eine Entschädigung zu erhalten.
Mit Verweis auf diesen Grundsatz akzeptiert das Berufungsgericht Paris in einer Entscheidung vom 22.6.2017 (CA Paris, 22 juin 2017, n° 14/26121) den Antrag wegen vertraglicher Schäden und lehnt den mit dem missbräuchlichen Vertragsbruch begründeten Antrag ab.
Laut den Richtern hatte die Verlagsgesellschaft in der Tat bereits unter Berufung auf die vertragliche Haftung geklagt und konnte nicht noch zusätzlich eine Entschädigung aufgrund einer deliktischen Haftung geltend machen, welche sich auf den gleichen Sachverhalt bezieht, nämlich die Weigerung, einen Stand für den Kongress zuzuweisen, was als einziges Verschulden gewertet wurde.
Die Verlagsgesellschaft war mit dem Urteil des Berufungsgerichts nicht zufrieden und wandte sich an den französischen Kassationshof. Nach ihrer Prüfung der Angelegenheit haben die Richter das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben.
Der Kassationshof ist mit der Entscheidung des Berufungsgerichts nicht einverstanden: Eine Klage wegen vertraglicher Haftung schließt keine getrennte Klage auf Schadensersatz aufgrund des missbräuchlichen Vertragsbruchs einer bestehenden Geschäftsbeziehung aus.
Die Kammer für Handelssachen des französischen Kassationshofs hat also mit ihrem Urteil vom 24.10.2018 einen neuen Weg beschritten und dabei eine Grenze eingeführt: Der Grundsatz der Nichtkumulierung untersagt nicht die Einleitung einer getrennten Klage, die sich auf Artikel L 442-6, I, 5° des frz. Handelsgesetzbuches stützt und darauf abzielt, Schadensersatz für einen missbräuchlichen Vertragsbruch einer bestehenden Geschäftsbeziehung statt für eine Vertragsverletzung zu erhalten.
Diese Entscheidung gibt somit Unternehmen, die einen Schaden wegen Nichterfüllung eines Vertrages durch einen Geschäftspartner erlitten haben, diesen nicht nur auf Schadensersatz aufgrund der Folgen dieser Nichterfüllung zu verklagen, sondern auch auf zusätzlichen Schadensersatz im Fall eines missbräuchlichen Vertragsbruchs.
Es ist jedoch Vorsicht geboten, denn diese Kumulierung ist nur in der Annahme möglich, dass das Bestehen von unterschiedlichen Schäden, die eine Entschädigung notwendig machen, nachgewiesen werden kann.
Das gleiche Verschulden muss tatsächlich zwei unterschiedliche Schäden verursachen:
- wegen Nichterfüllung eines Vertrages;
- wegen missbräuchlichen Vertragsbruchs einer bestehenden Geschäftsbeziehung, unter der Voraussetzung, dass dieser Schaden sich vom Schaden wegen Nichterfüllung eines Vertrages unterscheidet.
Wie geht es weiter mit der Anerkennung zur Kumulierung von Haftungsgrundlagen?
Eine Analyse der kommenden Urteile zu diesem Thema sowie der Entscheidung des Berufungsgerichts unter Berücksichtigung dieser Klarstellung des Kassationshofs wird besonders aufschlussreich sein in Bezug auf die Schäden, welche entschädigt werden können.
Man darf gespannt sein auf die Verordnungen aus dem Gesetz Nr. 2018-938 vom 30.10.2018, welche insbesondere eine Reform für missbräuchlichen Vertragsbruch von bestehenden Geschäftsbeziehungen (Artikel 17) vorsehen. Diese Verordnungen wurden für die zweite Jahreshälfte 2019 angekündigt.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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