Betriebsübergang und Übertragung der Betriebsordnung
04.08.21

Im Fall eines französischen Betriebsübergangs in Anwendung von Artikel L. 1224-1 des französischen Arbeitsgesetzbuches wird die Betriebsordnung, die vorher auf die Arbeitsverträge der Arbeitnehmer anwendbar war, nicht auf den neuen Arbeitgeber übertragen. Der französische Kassationshof hat dies in einem Urteil vom 31.3.2021 (Cass., Soc., 31 mars 2021, n° 19-12.289, FS-P) bestätigt. Für den neuen Arbeitgeber ist die Betriebsordnung weder rechtswirksam noch verpflichtend. Der Übergang der Arbeitsverträge zieht demnach nicht den Übergang der Betriebsordnung nach sich.
Anwendung der Betriebsordnung des ehemaligen Arbeitgebers auf den Arbeitnehmer?
Im vorliegenden Fall war ein Mitarbeiter seit dem 14.6.1999 als Entwicklungsleiter der pharmazeutischen Geschäfte für die Gesellschaft Ioltech tätig. Diese wurde 2005 von der Gesellschaft Carl Zeiss Meditec übernommen.
Der Arbeitnehmer wurde zu einem Vorgespräch am 4.2.2010 geladen und schließlich am 18.2.2010 wegen groben Verschuldens fristlos gekündigt. Er beantragte beim französischen Arbeitsgericht eine Aufhebung des Arbeitsvertrags und focht anschließend hilfsweise die Rechtmäßigkeit und Gültigkeit seiner Kündigung an, die er als unbegründet ansah.
Er nahm an, dass die Betriebsordnung der übernommenen Gesellschaft dem neuen Arbeitgeber gegenüber rechtswirksam war – folglich hätte dieser die in dieser Ordnung vorgesehenen Disziplinarverfahren einhalten müssen. Der neue Arbeitgeber hätte insbesondere die Vorschrift beachten müssen, laut der jeder Arbeitnehmer, gegen den eine Disziplinarstrafe in Betracht gezogen wird, mit einem Schreiben vorgeladen wird, in dem er über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe informiert wird.
Das Berufungsgericht in Toulouse folgt der Argumentation des Arbeitnehmers und vertritt die Auffassung, dass es für die Kündigung keinen tatsächlichen und schwerwiegenden Grund gab, da die übernehmende Gesellschaft die Betriebsordnung der übertragenden Gesellschaft nicht beachtet hat.
Die Betriebsordnung ist nicht Teil der bei einem Betriebsübergang übertragenden Elemente
Die Kammer für Sozialsachen des Kassationshofes hob die Entscheidung des französischen Berufungsgerichts mit der Begründung auf, letzteres habe gegen Artikel L. 1224-1 des französischen Arbeitsgesetzbuches verstoßen, der Folgendes vorsieht:
„Bei einer Änderung der rechtlichen Situation des Arbeitgebers bestehen alle am Tag der Änderung laufenden Arbeitsverträge zwischen dem neuen Arbeitgeber und den Arbeitnehmern des Unternehmens fort.“
Der Kassationshof ist der Ansicht, dass die Betriebsordnung im Falle einer Übernahme eines Unternehmens nicht übertragen wird – nur die Arbeitsverträge gehen auf den neuen Arbeitgeber über. Die Gesellschaft Carl Zeiss Meditec war demnach nicht verpflichtet, die Bestimmungen der Betriebsordnung der Gesellschaft Ioltech einzuhalten.
Der Kassationshof präzisiert, dass, „sobald die Betriebsordnung einen privatrechtlichen Charakter darstellt und dessen Erstellungsbestimmungen gesetzlich festgelegt sind, die Betriebsordnung, die für den Arbeitgeber und die Arbeitnehmer vor der Übertragung der Arbeitsverträge von Rechts wegen in Anwendung von Artikel L. 1224-1 des französischen Arbeitsgesetzbuches anwendbar sind, nicht mit den Arbeitsverträgen übergeht“ (Cass., Soc., 17 oct. 2018, n° 17-16.465).
Die Betriebsordnung folgt demnach nicht den übernommenen Mitarbeitern.
Es ist der Rechtscharakter, der die Nichtübertragung der Betriebsordnung begründet, die keine einseitige Verpflichtung, sondern einen Rechtsakt darstellt, der über eine eigene Rechtslage verfügt, die in den Artikeln L. 1321-1 folgende des frz. Arbeitsgesetzbuches bestimmt wird.
Bestätigung einer bestehenden Rechtsprechung
Der Kassationshof bestätigt lediglich das 2018 abgegebene Urteil (Cass., Soc., 17 oct. 2018, pourvoi n° 17-16.465), in dem die Kammer für Sozialsachen bereits festgestellt hatte, dass die Betriebsordnung bei einem Betriebsübergang nicht mit den Arbeitsverträgen übertragen wird. In diesem Fall handelte es sich um die Gesellschaft DHL express, die eine Betriebsordnung aufgestellt hatte. 2008 hatte die Gesellschaft DHL International express France den Betrieb und die Angestellten der Gesellschaft DHL express übernommen.
Der französische Kassationshof sowie das Berufungsgericht von Paris hatten die Auffassung vertreten, dass die Betriebsordnung nicht übertragen wurde, „wenn diese einen privatrechtlichen Charakter hat, dessen Bedingungen gesetzlich und durch Artikel R. 1321-5 desselben Gesetzbuches einem solchen Unternehmen auferlegt, in den drei Monaten nach seiner Eröffnung eine Betriebsordnung aufzustellen.“
Die Folgen der Entscheidung des Kassationshofes für den neuen Arbeitgeber bei einem Betriebsübergang
Da die Betriebsordnung für Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern Pflicht ist, muss die übernehmende, mehr als 50 Mitarbeiter beschäftigende Gesellschaft innerhalb einer gesetzlichen Frist eine neue Ordnung aufsetzen. Es ist nicht verboten, die Betriebsordnung der übertragenden Gesellschaft zu übernehmen, vorausgesetzt, dass sie stets angepasst wird.
Darüber hinaus wird die Disziplinargewalt des Arbeitgebers teilweise gelähmt, wenn dieser nicht rechtzeitig eine neue Betriebsordnung einführt.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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Bild: Tierney