Bereitschaftsdienst in Frankreich und Vergütung
21.11.22

Was ist der Bereitschaftsdienst im französischen Recht?
Der Bereitschaftsdienst (astreinte) ist nach französischem Arbeitsrecht ein Zeitraum, währenddessen der Arbeitnehmer, ohne an seinem Arbeitsplatz zu sein, nicht ständig und unverzüglich dem Arbeitgeber zur Verfügung steht. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich jedoch in dieser Zeit, sich an seinem Wohnsitz oder in der Nähe aufzuhalten, um eine Arbeit gegebenenfalls leisten zu können (Art. L.3121-5-9 des frz. Arbeitsgesetzbuchs).
Während des Bereitschaftsdienstes ist der Arbeitnehmer entweder:
- in der eigentlichen Bereitschaft, d.h. er ist erreichbar und in der Lage, eine Arbeit zu leisten oder
- im Einsatz (intervention), d.h. er leistet tatsächlich für den Arbeitgeber eine Arbeit.
Wie wird der Arbeitnehmer vergütet?
Diese zwei Zeiträume werden unterschiedlich vergütet.
Der Zeitraum einer Intervention während des Bereitschaftsdienstes ist als tatsächliche Arbeitszeit zu werten, da der Arbeitnehmer für den Arbeitgeber tatsächlich arbeitet. Sie ist daher wie die reguläre Arbeitszeit bzw. gegebenenfalls wie Überstunden zu vergüten.
Der eigentliche Bereitschaftsdienst gilt dagegen als Ruhezeit im Sinne des Arbeitsrechts, d.h er zählt zu den täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten. Allerdings muss der Bereitschaftsdienst vergütet werden, und zwar entweder mit einer Geldzahlung oder mit Freizeit.
Der europäische Richter hat jedoch eine Grenze zwischen Bereitschaftsdienst und einer Situation gezogen, in der es nicht mehr möglich ist, von einem einfachen Bereitschaftsdienst auszugehen, sondern von einer normalen Arbeitszeit: Der Gerichtshof der Europäischen Union entschied in einem Urteil aus dem Jahr 2021, dass ein Arbeitnehmer, ohne im Einsatz zu sein, tatsächlich arbeitet, wenn er während einer Bereitschaftszeit Belastungen ausgesetzt ist, die so intensiv sind, dass sie objektiv und sehr erheblich seine Fähigkeit beeinträchtigen, seinen persönlichen Beschäftigungen nachzugehen und diese Zeit seinen eigenen Interessen zu widmen. Dies wurde vom frz. BGH, dem Kassationshof, in einer Entscheidung vom 26.10.2022 (Urteil Nr. 21-14.178) bestätigt.
Das Gesetz sieht in diesem Fall keine Mindestvergütung vor. Einige Tarifverträge haben allerdings entsprechende Regelungen für ihren Sektor vorgesehen.
In Ermangelung einer Vergütungsregelung steht die Höhe der Vergütung im Ermessen des Arbeitgebers, wobei sie verhältnismäßig sein muss. Außerdem ist der Arbeitgeber verpflichtet, die französische Arbeitsaufsichtsbehörde (inspection du travail) vor Aufnahme des ersten Bereitschaftsdienstes darüber in Kenntnis zu setzen.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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