Lohnungleichheit: Nachweis durch erzwungene Herausgabe von Lohnzettel
Veröffentlicht am 26.07.23

Das Thema der Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen führt zu immer mehr Rechtsstreitigkeiten. Eine Frau, die vor Gericht diese Situation anerkennen lassen möchte, muss nachweisen, dass Männer für eine vergleichbare Position mehr verdienen. Französische Richter geben der Frau die Möglichkeit, vom Arbeitgeber die Vorlage der Gehaltsabrechnungen der männlichen Kollegen zu verlangen. In diesem Artikel werden wir die Regeln für ungleiche Bezahlung, die jüngste Gerichtsentscheidung und ihre Auswirkungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber untersuchen.
Wenn Sie als Arbeitgeber mit dieser Situation konfrontiert sind, bieten wir Ihnen eine umfassende Beratung durch unsere Anwaltskanzlei im Bereich des französischen Arbeitsrechts an.
Ungleichbehandlung von Männern und Frauen und Beweis
Zur Erinnerung: Die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz wird durch mehrere wichtigen Grundsätze des französischen und europäischen Arbeitsrechts geschützt, d. h. insbesondere:
- das Verbot der Diskriminierung bei der Einstellung,
- das Verbot von Unterschieden bei der Entlohnung und der beruflichen Entwicklung,
- die Einführung von Präventionsmaßnahmen im Bereich der sexuellen Belästigung,
- die Weitergabe von Informationen an die Personalvertreter.
Bei einem Verstoß gegen die Gleichbehandlung von Männern und Frauen sind Sanktionen vorgesehen.
Verdacht auf ungleiche Bezahlung zum Nachteil einer weiblichen Arbeitnehmerin
Der frz. BGH (Kassationshof) hat sich kürzlich in einem Urteil vom 8. März 2023 (Rechtsmittel Nr. 21-12.492) dazu geäußert, ob eine Arbeitnehmerin bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber die Gehaltsabrechnungen männlicher Kollegen in einer vergleichbaren Position einfordern kann, um eine Lohnungleichheit zu beweisen.
Im vorliegenden Fall wurde Frau R 2009 von der Firma Exane Derivatives, einer Tochtergesellschaft der Exane-Gruppe, als Structurer (Ausarbeitung von komplexen Finanzprodukten) eingestellt. Anschließend war sie als Leiterin für übergreifende Derivateprojekte und später als Direktorin für Strategie und Gruppenprojekte bei der Firma Exane tätig.
Sie wurde schließlich 2019 entlassen und war der Ansicht, dass sie im Vergleich zu einigen männlichen Kollegen in einer vergleichbaren Position beim Arbeitgeber ungleich entlohnt wurde. Sie konnte dies jedoch nicht formal beweisen, ohne die Gehaltsabrechnungen ihrer Kollegen in den Händen zu halten. Sie hatte daher beim frz. Arbeitsgericht eine einstweilige Verfügung beantragt, um auf der Grundlage von Artikel 145 der Zivilprozessordnung die Übermittlung der Gehaltsabrechnungen zu erwirken.
Pflicht zur Übermittlung von Gehaltsabrechnungen zu Beweiszwecken
Die Richter des Pariser Berufungsgerichts waren der Ansicht, dass die Arbeitnehmerin die Übermittlung der Gehaltsabrechnungen von acht anderen männlichen Arbeitnehmern in ähnlichen Positionen verlangen konnte, um das Vorliegen einer Lohnungleichheit beweisen zu können. Natürlich widersetzten sich sowohl die betreffenden Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber der Forderung nach Vorlage dieser Beweise, wobei sie sich insbesondere auf das Recht auf Schutz personenbezogener Daten beriefen.
Der frz. BGH (Kassationshof) stimmte der Argumentation der Richter des Berufungsgerichts zu und befand, dass sie „deutlich gemacht haben, dass diese Offenlegung von Elementen, die in das persönliche Leben anderer Arbeitnehmer eingreifen, für die Ausübung des Beweisrechts unerlässlich und dem verfolgten Ziel angemessen ist, d. h. der Verteidigung des berechtigten Interesses der Arbeitnehmerin an der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Beschäftigung und Beruf„.
Rechtliche Begründung für die Pflicht, Gehaltsabrechnungen vorzuzeigen
Der frz. BGH (Kassationshof) stützte sich zur Begründung seiner Entscheidung auf mehrere Texte:
- Die EU-Verordnung 2016/679 (die sogenannte DSGVO) und insbesondere Artikel 4, in dem es heißt, dass das Recht auf Schutz personenbezogener Daten kein absolutes Recht ist und in Bezug auf seine Funktion in der Gesellschaft betrachtet und gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gegen andere Grundrechte abgewogen werden muss, insbesondere gegen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und den Zugang zu einem unparteiischen Gericht.
- Artikel 145 der Zivilprozessordnung, der besagt, dass bei Vorliegen eines berechtigten Grundes, vor einem Prozess den Beweis für Tatsachen zu sichern oder zu erbringen, von denen die Entscheidung eines Rechtsstreits abhängen könnte, eine Beweisaufnahme angeordnet werden kann.
- Artikel 8 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Artikel 9 der Zivilprozessordnung und Artikel 9 des Zivilgesetzbuches, die vorsehen, dass das Recht auf Beweis die Vorlage von Elementen, die das persönliche Leben beeinträchtigen, rechtfertigen kann, wenn dies unerlässlich ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht.
Verhältnismäßigkeit der Verletzung persönlicher Rechte für die Vorlage
Der Richter kann also die Vorlage von Elementen anordnen, muss aber immer prüfen, ob die Vorlage dieser Dokumente für die Ausübung des Rechts auf Nachweis der Ungleichbehandlung notwendig und dem verfolgten Ziel angemessen ist. Er muss auch prüfen, ob, wenn diese Elemente das Privatleben beeinträchtigen, nur die für das Beweisrecht unerlässlichen Maßnahmen angeordnet werden. Der Richter kann den Umfang des Verfahrens der angeforderten Beweisstücke präzisieren.
Im vorliegenden Fall hatten die Richter beispielsweise die Vorlage von Gehaltsabrechnungen angeordnet, aber klargestellt, dass persönliche Daten mit Ausnahme von Namen, Vornamen, Klassifikationen und Vergütungen (detailliertes monatliches Bruttogehalt und kumuliertes Gesamtbruttogehalt pro Kalenderjahr) unkenntlich gemacht werden müssen.
Was wir in Kürze festhalten können:
Für die Arbeitnehmerinnen ist die jüngste Gerichtsentscheidung ein bedeutender Fortschritt im Kampf gegen Lohnungleichheit. Indem sie die Gehaltsabrechnungen ihrer männlichen Kollegen vorlegen, können sie nun leichter eine Lohndiskriminierung nachweisen.
Für Arbeitgeber unterstreicht diese Entscheidung, wie wichtig es ist, sich an die Regeln zur Lohngleichheit zu halten und genaue Aufzeichnungen zu führen, um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.
Insgesamt unterstreicht diese Entscheidung, wie wichtig es ist, Lohnungleichheit zu bekämpfen und für alle Beschäftigten Transparenz in Bezug auf die Entlohnung zu gewährleisten.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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