Jährliche Tagespauschale und Arbeitszeit in Frankreich

Veröffentlicht am 28.11.23
Der Kassationshof stellt die Tagespauschale in Frage
Der Kassationshof stellt die Tagespauschale in Frage
Der Kassationshof stellt die Tagespauschale in Frage

Im französischen Arbeitsrecht besteht bezüglich der geleisteten Arbeitszeit unter gewissen Bedingungen die Möglichkeit, einer jährliche Tagespauschale (convention de forfait-jours) zu vereinbaren. Diese Pauschale ersetzt gegebenenfalls die Regelarbeitszeit in Frankreich von 35-Stunden pro Woche. Die Anwendung jährlicher Tagespauschalen unterliegt einer sehr strengen Kontrolle des französischen obersten Gerichts, der Cour de cassation. Die Vereinbarung über die jährliche Tagespauschale und der Tarifvertrag müssen dem Arbeitnehmer darüber hinaus die Möglichkeit geben, bei der Organisation seiner Arbeit und seines Tagesablaufs wirklich autonom zu sein. Die Formulierung der Vereinbarung über die jährliche Tagespauschale ist daher sehr wichtig.

Die Vereinbarung einer jährlichen Tagespauschale setzt unter anderem voraus, dass der im Unternehmen anwendbare Tarifvertrag dies zulässt.

Der französische Kassationshof hat die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Vereinbarung der jährlichen Tagespauschale im Licht der Normen des Europarechts in seiner Rechtsprechung im Laufe der Zeit näher definiert.

Infragestellung der Vereinbarungen über jährliche Tagespauschale

In einem Urteil vom 29.6.2011 (Sozialkammer, Nr. 09-71107) hatte der französische Kassationshof entschieden, dass nur die Tarifverträge, die die Beachtung der Maximalarbeitszeiten in Frankreich sowie der Ruhezeiten sicherstellen, der Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer einer jährlichen Tagespauschale in einem französischen Arbeitsvertrag zugrundliegen dürfen. Der französische Arbeitgeber hat sich an diesen Bestimmungen auch strikt zu halten. Unterlässt der Arbeitgeber diese Verpflichtung, ist die Vereinbarung einer jährlichen Tagespauschale unwirksam.

In dem dem Kassationshofsurteil zugrundeliegenden Sachverhalt war der französische Tarifvertrag der Metallindustrie im Unternehmen des Arbeitgebers anwendbar. In den Augen der Richter erfüllte dieser Tarifvertrag die Anforderungen des Arbeitsrechts über den Schutz der Sicherheit sowie der Gesundheit des Mitarbeiters. Als Hinweis im konkreten Fall nannte das oberste Gericht unter anderem die Pflicht zu Lasten des Arbeitgebers:

  1. ein Kontrollheft zu führen,
  2. die regelmäßige Überwachung der Arbeitsorganisation und –belastung sowie
  3. die Abhaltung  eines jährlichen Gesprächs mit dem Mitarbeiter.

 

Der französische Kassationshof hatte seine Rechtsauffassung mit einem Urteil vom 31.1.2012 (Sozialkammer, Nr. 10-19807) bestätigt. Der Schutz des französischen Arbeitnehmers wird nicht allein mit dem Verweis des Tarifvertrages auf die zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu vereinbarenden Bestimmungen im Arbeitsvertrag gewährleistet. Es handelte sich konkret um den französischen Tarifvertrag der Chemieindustrie. Dieser Tarifvertrag gewährleistete aus Sicht des Gerichts in der vorgelegten Fassung damals nicht die Sicherheit und die Gesundheit des Mitarbeiters. Infolgedessen hatte die Vereinbarung einer jährlichen Tagespauschale auf der Grundlage des zu diesem Zeitpunkt geltenden Tarifvertrages der Chemieindustrie in Frankreich keine Rechtswirksamkeit. Dasselbe Schicksal ereilte auch die Pauschaltagevereinbarungen der Tarifverträge Syntec, der französischen Steuerberater oder auch der französischen Notare. Die meisten wurden inzwischen aktualisiert und an die Anforderungen des Kassationsgerichts angepasst.

Vorsicht mit der Tagespauschale in französischen Arbeitsverträgen

Die jährliche Tagespauschale muss die Sicherheit des Arbeitnehmers beachtenVor diesem Hintergrund kann man festhalten, dass die Bestimmungen der Tarifverträge über die Vereinbarung von jährlichen Tagespauschalen, die die dem Mitarbeiter gewährte Sicherheit nicht regeln, insbesondere in Bezug auf Erholmung und Maximalarbeitszeit, nichtig sind. Die Vereinbarung einer jährlichen Tagespauschale ist daher nicht möglich. Vereinbarungen einer jährlichen Tagespauschale in Tagen müssen auch eine effektive und regelmäßige Kontrolle der Arbeitsbelastung sicherstellen, um die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten.

Rechtsunwirksam sind auch einzelvertragliche Vereinbarungen über jährliche Tagespauschalen, die die Sicherheit und die Gesundheit des Arbeitnehmers nicht im Einklang mit den diesbezüglichen rechtswirksamen Bestimmungen des Tarifvertrages berücksichtigen.

Gewährleistung der Arbeitnehmerautonomie in Vereinbarungen über Tagespauschalen

Der Kassationshof hat sich kürzlich erneut mit dem heiklen Thema der Pauschaltagvereinbarungen „befasst“ und in einem Urteil vom 7. Juni 2023 daran erinnert, wie wichtig es ist, dem Arbeitnehmer ein hohes Maß an Autonomie zu gewähren. Der betroffene Arbeitnehmer beantragte vor dem französischen Arbeitsgericht die gerichtliche Auflösung seines Arbeitsvertrags, da er der Ansicht war, dass seine Pauschalvereinbarung nichtig sei. Sie sah nämlich vor, dass er viermal am Tag seine Arbeitszeit erfassen musste und verpflichtet war, mindestens sechs Stunden am Tag vor Ort anwesend zu sein, damit ein Tag im Hinblick auf seine jährliche Pauschale angerechnet werden konnte. Das Kassationsgericht war der Ansicht, dass der Arbeitnehmer in der Organisation seines Tagesablaufs und seiner Arbeit nicht autonom war und daher aus diesen beiden Gründen nicht für eine Tagespauschale in Frage kam:

  • Einerseits führte die Zeiterfassung zu Computerauszügen, in denen die Ankunfts- und Abfahrtszeiten und damit die geleisteten Arbeitsstunden vermerkt waren;
  • Andererseits konnte der Arbeitnehmer seinen Tag nur dann validieren, wenn er an einem Tag 6 Stunden im Unternehmen anwesend war.

Bei der Abfassung von Vereinbarungen über Tagespauschalen sollte man daher sehr wachsam sein. Die Art der Abrechnung der gearbeiteten Tage darf die Autonomie des Arbeitnehmers nicht beeinträchtigen. Andernfalls kann die Vereinbarung für ungültig erklärt werden und der Arbeitnehmer unterliegt der gesetzlichen 35-Stunden-Regelung.

Um die Rechtssicherheit der Klausel oder Vereinbarung über die Tagespauschale zu gewährleisten, ist es empfehlenswert, einen im französischen Arbeitsrecht beratenden Anwalt zu beauftragen, der berät.

Dies ist logisch, da Vereinbarungen über eine Tagespauschale insbesondere „Führungskräften vorbehalten sind, die über Autonomie bei der Organisation ihrer Arbeitszeit verfügen“.

Die Entscheidung des Kassationsgerichtshofs geht im Übrigen in die gleiche Richtung wie seine Argumentation, da er bereits 2007 in einem Urteil festgestellt hatte, dass die Autonomie des Arbeitnehmers mit einer Tagespauschale beispielsweise nicht mit der Pflicht vereinbar ist, einen von seiner Hierarchie bestimmten Zeitplan und Einsatzplan einzuhalten.

Der Rückgriff auf eine Klausel über eine jährliche Tagespauschale zwingt dazu, ein prekäres Gleichgewicht zwischen zwei Zwängen zu finden, die manchmal widersprüchlich erscheinen:

  • Der Arbeitnehmer darf nicht an einen vom Arbeitgeber festgelegten verbindlichen Zeitplan und präzise Arbeitszeiten gebunden sein, da er autonom bleiben muss;
  • Der Arbeitnehmer muss sich an die organisatorischen Zwänge des Unternehmens anpassen, und der Arbeitgeber muss die Arbeitsbelastung und die Anzahl der Arbeitstage kontrollieren.

Françoise Berton, französische Rechtsanwältin

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