Die Reformen des französischen Arbeitsrechts
Veröffentlicht am 19.11.19

Inhaltsverzeichnis
Die Vielzahl der Reformen im Arbeitsrecht
Zwischen 2008 und 2019 wurde das französische Arbeitsrecht durch etwa dreißig Reformen geändert. Alle Aspekte dieses Rechts wurden nach und nach geändert, um sie an die französische Gesellschaft anzupassen und auch entsprechend der unterschiedlichen Regierungen.
Manche Reformen haben das französische Arbeitsrecht dauerhaft geändert und die Vorgehensweisen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern geändert. Dies ist beispielsweise der Fall eines Gesetzes von 2008, das Arbeitgebern die Möglichkeit gibt, einen „Arbeitsvertrag einvernehmlich zu beenden“, und zwar durch eine Aufhebungsvereinbarung. Andere Rechtssysteme, wie das deutsche Recht mit der „Aufhebungsvereinbarung“, kennen schon seit Langem ein solches Verfahren. Im Gegensatz dazu hatten manche Reformen keine dauerhaften Auswirkungen, wie die Vereinbarungen zur Weiterbeschäftigung oder auch die Generationenverträge.
Im Laufe der Zeit konnte ein deutlicher Anstieg des Tempos der Verabschiedung von Reformen im Arbeitsrecht, aber auch allgemeiner im Sozialversicherungsrecht, festgestellt werden. Nachstehend geben wir einen Überblick über die wichtigsten Reformen soweit.
Reformen im Allgemeinen nach Verhandlungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern
Diese Reformen des Arbeitsrechts werden oft in Absprache mit den Sozialpartnern durchgeführt, wenn die Verhandlungen zu einer Einigung führen, wie man an der landesweiten branchenübergreifenden Vereinbarung (Accord national interprofessionnel) vom 11.01.2013 sehen kann, welche durch ein Gesetz vom gleichen Jahr in das französische Arbeitsgesetzbuch aufgenommen wurde.
Dieses Gesetz sieht insbesondere eine Verallgemeinerung der Pflicht der Arbeitgeber, eine Zusatzkrankenversicherung für Arbeitnehmer ab dem 01.01.2016 abzuschließen vor, verbessert den sozialen Dialog und reduziert die Verjährungsdauer für Streitigkeiten mit einem Arbeitnehmer wegen der Erfüllung bzw. der Beendigung des Arbeitsvertrages auf höchstens 24 Monate, und auf 36 Monate in Bezug auf die Vergütung.
Reform der französischen Arbeitsgerichte
Das Verfahren vor den französischen Arbeitsgerichte, die sich mit Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Arbeitsrecht befassen, wurde ebenfalls geändert: zunächst durch ein Gesetz vom 18.12.2014, welches die Modalitäten zur Ernennung der Richter am Arbeitsgericht änderte, und dann durch das Macron-Gesetz „für Wachstum, Aktivität und Chancengleichheit in der Wirtschaft“ vom 06.08.2015, welches die Funktionsweise der Arbeitsgerichte reformierte. Das Ziel dabei ist es, die Gerichtsverfahren vor den französischen Arbeitsgerichten (conseils de prud’hommes, in der ersten Instanz), insbesondere anlässlich einer Kündigungsschutzklage, zu beschleunigen. Die Reform setzt sich aus vier Hauptteilen zusammen:
- die Umwandlung der Kammer für die Güteverhandlung (bureau de conciliation) zur „Kammer für die Güteverhandlung und Verteilung der Sache“ (bureau de conciliation et d’orientation), deren Aufgaben die Güteverhandlung zwischen den Parteien aber auch die Orientierung der Streitigkeit zu einer der Gerichtskammern sind und die über neue Befugnisse verfügt;
- die Schaffung von neuen Gerichtskammern des Arbeitsgerichtes zur Beschleunigung des Verfahrens: die kleine Kammer, die Kammer zur Abstimmung und die ordentliche Kammer;
- die Einführung von neuen außergerichtlichen Schlichtungsmöglichkeiten vor der Anrufung des Arbeitsgerichts, wie das herkömmliche Schlichtungsverfahren und die Vereinbarung für ein partizipatives Verfahren;
- die Ausarbeitung der rechtlichen Stellung des Gewerkschaftsverteidigers der Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht.
Die Reform des Rechts der kollektiven Arbeitsbeziehungen
Am 02.06.2015 hat das Gesetz für den „sozialen Dialog und die Arbeit“, das sogenannte Rebsamen-Gesetz, die Zusammenstellung und Funktionsweise der Instanzen der Personalvertretung (instances représentatives du personnel, IRP) gründlich überarbeitet. Diese Reform hat zum Hauptziel, die unterschiedlichen Instanzen der Personalvertretung zu vereinfachen, und gliedert sich in drei Hauptthemen:
- die Erweiterung der Möglichkeit, die drei existierenden Instanzen der Personalvertretung in einer einheitlichen Vertretung (Délégation Unique du Personnel) zusammenzufassen;
- die Vereinfachung der zwingenden Anhörungen und Verhandlungen mit dem Betriebsrat;
- die Information des Betriebsrats durch eine vereinfachte Datenbank mit wirtschaftlichen und sozialen Daten.
Reformen mit immer unterschiedlicheren Inhalten
Anschließend hat das „Arbeits-Gesetz“ vom 08.08.2016 viele Bereiche des Arbeitsrechts reformiert, unter der Voraussetzung, dass die Durchführungsverordnungen (insgesamt mehr als 120) verabschiedet werden. Diese Reform sieht insbesondere Folgendes vor:
- eine neue Definition des betriebsbedingten Kündigungsgrundes, insbesondere mit der Aufnahme von zwei weiteren Gründen, die eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen: die notwendige Umstrukturierung des Unternehmens, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, und die Einstellung der Geschäftstätigkeit;
- eine größere Flexibilität der Arbeitszeit auf Unternehmensebene, indem eine Betriebsvereinbarung Vorrang haben kann vor einem nationalen Tarifvertrag zur Festlegung der Arbeitszeit, welcher auf das Personal des Unternehmens anwendbar ist;
- neue Möglichkeiten für Betriebsvereinbarungen, indem den Sozialpartnern eine größere Autonomie im Rahmen der Kollektivverhandlungen eingeräumt wird;
- neue Regelungen in Bezug auf das Kündigungsverfahren bei Arbeitsunfähigkeit;
- ein Kündigungsschutz über einen längeren Zeitraum für die Arbeitnehmer nach der Ankunft eines Kindes.
Am 22.09.2017 wurde unter großer Medienpräsenz eine neue Arbeitsrechtsreform durch Verordnungen verabschiedet, und zwar durch einen Beschluss des Ministerrates ohne Mitspracherecht der Abgeordneten und Senatoren: die sogenannten „Macron-Verordnungen“.
Um den Unternehmen mehr Flexibilität zu ermöglichen, reformieren diese Verordnungen acht Hauptthemen:
- die Umkehrung der Rangordnung bei den Normen des Arbeitsrechts, durch die eine Betriebsvereinbarung grundsätzlich Vorrang vor dem Tarifvertrag hat, abgesehen von Ausnahmen;
- die Vereinfachung der Instanzen der Personalvertretung durch die Zusammenlegung aller existierenden Instanzen zur Bildung einer neuen, einheitlichen Organisation: dem „Wirtschafts- und Sozialausschuss“ (comité social et économique, CSE);
- die Möglichkeit des Aushandelns von Betriebsvereinbarungen durch den Wirtschafts- und Sozialausschuss, wenn es im Unternehmen keine Gewerkschaftsvertreter gibt, mit unterschiedlichen Modalitäten zur Verhandlung je nach Personalbestand des Unternehmens;
- die Einführung von neuen Möglichkeiten zur einvernehmlichen Kündigung: die kollektive Aufhebungsvereinbarung und die Vereinbarungen für ein vorausschauendes Stellen- und Kompetenzmanagement (die sogenannten „GPEC-Vereinbarungen“), welche eine Maßnahme für einen Fortbildungsurlaub vorsehen;
- die Einführung einer Tabelle mit Kündigungsentschädigungen bei unbegründeter Kündigung (sog. Macron-Tabelle) für Arbeitnehmer in Frankreich ab dem 23.09.2017 und die Erhöhung der gesetzlichen Kündigungsentschädigungen;
- die Beschränkung der Bewertungskriterien für einen betriebsbedingten Kündigungsgrund innerhalb einer Unternehmensgruppe, nunmehr mit einer Bewertung der wirtschaftlichen Lage, die sich auf die nationale Ebene beschränkt;
- das Kündigungsverfahren wird reformiert: Insbesondere die fehlende Begründung des Kündigungsschreibens führt nicht mehr zwangsläufig dazu, dass ein Kündigungsgrund fehlt, und die Verjährungsfrist für eine Bestreitung der Kündigung wird von vierundzwanzig auf zwölf Monate verkürzt. Des Weiteren wurde ein Vorverfahren zum Ersuchen von Klarstellungen zum Kündigungsgrund eingeführt. Die Pflicht zur beruflichen Wiedereingliederung im Rahmen eines Sozialplans oder im Falle einer Berufsunfähigkeit beinhaltet nur noch eine Wiedereingliederung auf nationaler Ebene, wie im Fall der betriebsbedingten Kündigung;
- die Inanspruchnahme von Homeoffice wird vereinfacht und noch mehr gesichert.
Auch wenn wir hier die wichtigsten Reformen des französischen Arbeitsrechts präsentieren, so werden immer wieder neue Texte verabschiedet, insbesondere das Gesetz „zur beruflichen Zukunft“ vom 05.09.2018, welches die berufliche Ausbildung reformiert, das Gesetz vom 24.12.2018, welches eine Sonderprämie zur Steigerung der Kaufkraft als Antwort auf die Gelbwestenbewegung einführt, oder auch die Einführung der Quellensteuer ab dem 01.01.2019.
Zahlreiche künftige Reformen
Es wurden bereits neue Texte verabschiedet, die jedoch erst später in Kraft treten werden. Dies ist beispielsweise der Fall bei der Pflicht für Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern, ab dem 01.03.2020 eine Note für den Index zur Gleichstellung von Frauen und Männern zu veröffentlichen und Berichtigungsmaßnahmen zu ergreifen, falls Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern festgestellt werden. Ebenso wird die Reform der Arbeitslosenversicherung ab dem 01.11.2019 in Kraft treten.
Des Weiteren sind umfassende neue Reformen bereits in Vorbereitung für die kommenden Monate, insbesondere in Bezug auf das Rentensystem oder auch den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Für Fachleute ist es also unerlässlich, ständig auf dem Laufenden zu sein und diese neuen Texte, die manchmal unklar und mehr oder weniger gut verfasst sind, bei ihren Mandanten in die Praxis umzusetzen.
Françoise Berton, französische Rechtsanwältin
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Bild: Jerôme Rommé